Aus den Bars drängt mallorquinisches Geschnatter. An der Straßenecke davor plauschen zwei Großmütter, während die Enkelkinder auf den Terrassenstühlen herumklettern. Auf einer Bank vor der Kartause kichern ein paar Teenager, die auf ihren Handys herumspielen. Abends um 20.30 Uhr wirkt sogar Valldemossa wie ein ganz normales Inseldorf.

Von den geschätzt 1,2 Millionen Besuchern, die pro Jahr in den 2.000-Seelen-Ort in der Tramuntana strömen, ist dann nur noch wenig zu spüren. Die Handvoll kleiner Hotels, die es hier gibt, bieten höchstens 100 Schlafplätze, der letzte Linien­bus zurück nach Palma ist längst abgefahren. Und auch den Großteil der Individualtouristen, die im Mietwagen angefahren kommen, scheint es spätestens zum Abendessen wieder woanders hinzuziehen.

Man könnte als Einheimischer nun die Ruhe genießen und mal nicht an Urlauber denken. Bürgermeister Nadal Torres und sein für Tourismus zuständiger Gemeinderat Jaume Salvà nutzen den lauen Abend Anfang Juli jedoch dazu, um zahlreiche Inselpolitiker sowie das halbe Dorf ins Kulturzentrum Costa Nord einzuladen - um das neu erarbeitete Tourismuskonzept zu präsentieren. „Visit Valldemossa" heißt es, „Besuch Valldemossa" - das neuerdings mit freiem WLAN im nun „smarten" Dorf, einer soeben online gegangenen neuen Website und einer neu gestalteten Touristeninformation mit ausgeweiteten Öffnungszeiten aufwartet. „Wir bekommen jetzt Unterstützung von engagierten Praktikanten der Tourismushochschule", erläutert Jaume Salvà den Zuhörern und hat dabei Schweißperlen auf der Stirn stehen. Auf diesen Moment hätten er und sein Team im Rathaus ein Jahr lang hingearbeitet, sagt der nebenberufliche Kommunalpolitiker, der sein Amt nach den Gemeinderatswahlen im vergangenen Sommer angetreten hat.

Genutzt haben sie die Zeit auch für eine gründliche Analyse der Besuchermassen, die tagtäglich über den Ort hereinbrechen. Gut 70 Prozent der Urlauber reisten inzwischen auf eigene Faust an, die Busse der Reiseveranstalter seien hingegen deutlich weniger geworden, sie karrten jährlich nur noch rund 350.000 Menschen heran, erklärt Salvà - und verbucht das als positive Entwicklung. Die durchgetakteten Besuche der Pauschaltouristen - schnell das Chopin-Klavier angucken, schnell eine coca de patata oder eine Ensaimada essen, schnell noch ein paar Postkarten kaufen - bescherten dem Ort schließlich nur kurzzeitig volle Gassen und Cafés, aber keinen nachhaltigen Gewinn. Doch auch die Leute, die mit dem eigenen Auto kommen, blieben im Durchschnitt nur 104 Minuten in Valldemossa, habe eine Auswertung der von den Parkautomaten ausgegebenen Tickets ergeben. „Das ist zu wenig, da bleibt keine Zeit, um das kulturelle und gastronomische Angebot auszukosten", sagt Jaume Salvà.

Genau darauf zielt aber das neue Tourismuskonzept ab. Es sieht vor, das kulturelle und historische Erbe des Ortes, allem voran die Kartause und den Palast von König Sancho, stärker in den Vordergrund zu rücken, um so das ganze Jahr über kulturell interessierte Urlauber anzulocken - die auch mal verweilen, die gute Küche in den gehobeneren Restaurants genießen oder durch die Boutiquen bummeln sollen. Anlässlich des Gedenkjahrs zum 700. Todestag von Ramon Llull erwäge man zudem, Valldemossa in ein europaweites Routennetz zu integrieren, das an den bekannten Inselphilosophen erinnert. Hierzu rät auch Andreu Rotger vom mallorquinischen Wirtschaftszirkel Cercle d´Econom?a, der zur Feier des Tages eine Rede halten darf.

Am Ende gibt es nicht nur vom Publikum schallenden Applaus. Auch Tourismusminister Biel Barceló hat lobende Worte parat - die Förderung des Kulturtourismus und die Belebung der Nebensaison seien schließlich auch zentrale Ziele der Balearen-Regierung. Barcelós kritischer Seitenhieb - der einzige des Abends - dass Valldemossa wahrlich kein Besucherproblem habe, sondern eher das Problem, die Massen in den Griff zu bekommen, geht im allgemeinen Trubel unter. „Wir sind ein lebendiges Dorf, wir sind ein aktives Dorf, besucht Valldemossa", ruft Gemeinderat Jaume Salvà in den Nachthimmel. Darauf ein frisches Bier oder einen kühlen Rosé. Das Buffet ist eröffnet.

Im Ernst? Braucht Valldemossa noch eine Werbekampagne, noch mehr Besucher? Kann es die überhaupt verkraften? Diskutiert man diese Fragen mit Jaume Salvà, wenn er keinen feinen Anzug trägt und neben Inselpolitikern in Kameras lächelt, sondern in Flip-Flops und kurzen Hosen seinen freien Tag genießt, antwortet er mit einem klaren Nein. „Dass hier kein Tourist zu viel ist, wie unsere Ministerpräsidentin Francina Armengol letztens sagte, stimmt einfach nicht", sagt er und lässt seinen Blick von der Aussichtsterrasse im Rey-Sancho-Palast über das Tal nach Palma schweifen.

„Irgendwann hält die Insel das nicht mehr aus." Und dabei denkt Salvà nicht nur an die vollen Gassen und die überfüllten Parkplätze, die manchen Bewohner schon mal zur Weißglut brächten, sondern vor allem auch an die natürlichen Ressourcen. „Wir mussten unsere Bürger bereits zum Wassersparen aufrufen, weil der vergangene Winter so trocken war." Wenn alles gut gehe, reichten die Vorräte bis nach dem Sommer. „Aber was ist, wenn es im September nicht regnet? Und auch nicht im Oktober und November?"

Andererseits, kein Tourismus ist auch keine Lösung - das weiß Jaume Salvà, das wissen die Inhaber der Souvernirläden und Restaurants, das weiß Rathaussprecher Marc Lladó: „Direkt oder indirekt profitieren hier alle vom Tourismus", sagt er und verweist beispielsweise auf die kostenpflichtigen Parkplätze, die der Gemeinde üppige Einnahmen bescheren. „Das macht es möglich, dass die Grundsteuer und die Müllgebühren bei uns im Ort seit Jahren niedrig sind", erklärt Lladó.

Dennoch, einfach so weitermachen wie bisher könne man auch nicht, ist Jaume Salvà überzeugt. Man müsse die Bedürfnisse der Einheimischen und der Urlauber besser in Einklang bringen, sagt er beim Spaziergang durch die Fußgängerzone. Das Einerlei an Souvenir-Shops und die überteuerten Cafés würden schließlich kaum der Nahversorgung der Bewohner dienen - und vermutlich nicht einmal den etwas anspruchsvolleren Urlauber befriedigen, den man sich so sehnlichst wünscht, muss sich Salvà eingestehen. „Zudem laufen wir Gefahr, dass sich die Besucher selbst irgendwann nicht mehr wohlfühlen, weil der Ort zu voll und überlaufen ist."

Allzu fern in der Zukunft dürfte dieses Irgendwann nicht liegen, wahrscheinlich ist es längst da. Die meisten Mallorquiner, die früher gerne am Sonntagvormittag auf dem Wochenmarkt in Valldemossa einkauften, machen inzwischen einen großen Bogen um den Ort, zumindest in den Sommermonaten. Was also tun? Jaume Salvà weiß, dass guter Rat teuer ist - und sich die Worthülsen vom Qualitätstourismus, von Gleichgewicht und Nachhaltigkeit nicht einfach mit einem Fingerschnipsen in Realität verwandeln.

„Visit Valldemossa" sei ja nur der Anfang, sagt der Kommunalpolitiker dann. Auf der weiteren Agenda der Gemeinderegierung stehe die Überarbeitung der Parkgebühren - um die Besucher zum längeren Verweilen zu animieren, sollen Tickets fürs Kurzparken teurer, für viele Stunden hingegen billiger werden. Geplant seien außerdem eine Gastro-Messe im Winter und Projekte, um den Touristen auch die Folklore des Dorfes näherzubringen und damit lebendig zu halten.

Teil davon ist die Volkstanzgruppe „Parado de Valldemossa", die augenscheinlich von Nachwuchssorgen geplagt ist: Bei der Präsentation des Tourismuskonzepts tritt ein übersichtliches Grüppchen fortgeschrittenen Alters auf. Das Publikum klatscht nach der Darbietung nichtsdestotrotz begeistert in die Hände. Schade nur, dass dem Festakt kein einziger Urlauber beiwohnt.