Von wild wachsenden Pflanzen kann man satt werden. Wie das geht, will Joan de Ses Herbes der MZ im Park beim Schloss Bellver vorführen. Zur Begrüßung überreicht er eine weiß blühende Pflanze. Später erklärt er, dass es sich um die Wasabi-Rauke handelt (Diplotaxis erucoides bot., ravenissa blanca span., oruga silvestre kat.). Beim Kosten eines Blattes hinterlässt es einen intensiven Meerrettich-Geschmack.

Die Rauke ist eine von 1.100 wild wachsenden Pflanzenarten auf der Insel, die Hälfte davon soll man essen können. Joan González, der lieber Joan de Ses Herbes (Kräuter-Joan) als seinen Nachnamen in der Zeitung lesen will, ernährt sich seit fünf Jahren fast ausschließlich von ihnen. Jeden Morgen wandert er in der Nähe seiner Wohnung in Palma und sammelt den Tagesbedarf an frischen Blättern, Stängeln und Früchten von Wildpflanzen, aber auch Johannisbrot und Mandeln von verwilderten Bäumen. Einen Supermarkt betritt er nie. „Meine Speisekammer ist die Natur, es ist absurd, für Essen Geld auszugeben", sagt der Mallorquiner.

Der 43-Jährige sammelt bevorzugt Nahrung auf Wiesen oder Brachen, die von den Abgasen des Stadtverkehrs verschont sind. Auch die Gewächse im Park beim Schloss Bellver sind abgasfrei, man könne also hier - so Joan - ohne Bedenken beim Rundgang Blätter der Kräuter kosten.

Zurück zur Treppe, die vom Schloss Bellver in den Park abwärts führt. Zwischen Stufe und Mauer wächst hier ein winziger, ebenfalls weiß blühender Strauch. „Das Strandsilberkraut (Lobularia maritima bot., mastuerzo marítimo span., morrisà bord kat.) pflücken wir hier nicht", sagt Joan, das Kraut schmecke gut und wäre sehr bekömmlich, aber hier auf der Treppe wären ihm noch zu viele Hunde unterwegs.

Denn die Kräuter werden vor dem Verzehr zwar gewaschen, dann aber roh verzehrt. Seine Frau und er ernähren sich fast ausschließlich von pflanzlicher Rohkost, auch raw food genannt, denn beim Erhitzen können wertvolle Substanzen verloren gehen. Erst ernährte sich das Paar vegetarisch, dann vegan. Heute wird nur das selbst gebackene Brot durch Erhitzen zubereitet, alles andere kommt mehrmals täglich als Salat auf den Tisch.

Die Zutaten dafür zu sammeln, setzt profunde Kenntnisse der Botanik voraus, die sich Joan durch die Lektüre von Botanikbüchern und im Netz aneignete. „Nach einem Jahr war ich Experte", erklärt er, warnt aber davor, Pflanzen zu essen, die man nicht identifizieren kann. Manche wären unbekömmlich oder gar giftig.

Jetzt zeigt er auf einen Mastix-Strauch, der links neben der Treppe in einer für Hunde nicht mehr erreichbaren Höhe wächst. Wenn die rotschwarzen Beeren reif sind, pflückt er diese und verwendet sie als Gewürz. Aus den getrockneten Mastix-Blättern stellt er eine heilsame Lotion gegen Entzündungen des Rachenraums her.

Zum Arzt geht der Mallorquiner nicht. „Man kann auf die Mediziner nicht ganz verzichten, für einen Beinbruch beispielsweise braucht es sie schon", sagt Joan. Arzneimittel der Pharmaindustrie hält er dagegen für überflüssig. Denn Pflanzen, die nicht essbar, sondern toxisch sind, können in homöopathischen Dosen überaus heilsam sein.

Nach einem kurzen Halt auf der Treppe betritt Joan eine Wiese und nähert sich einem knapp einen Meter hohen großblättrigen Strauch. Hier gerät der Pflanzenliebhaber ins Schwärmen: Der Pferdeeppich, auch Alisander genannt (Smyrnium olusatrum bot., perejil macedónico span., api de cavall kat.) schmecke köstlich. Bei dem Zweijährigen pflücke er im ersten Jahr Stängel und Blätter. Im zweiten ernte er die harten schwarzen Samen und nutze sie als Gewürz.

Ganz in der Nähe stößt Kräuter-Joan auf einen Verwandten des Pferdeeppichs, den Wilden Sellerie (Apium graveolens bot., apio silvestre span., api bord kat.). Seine Knollen auszugraben, ist tabu, denn die Pflanze hat dann keine Chance mehr, neu auszutreiben. Aber auch die Stängel und Blätter sind eine schmackhafte Zutat für Salate.

Hang aufwärts breitet sich die Senfrauke (Eruca vesicaria bot., rúcula span., ruca kat.) aus, die in ihrer Kulturform als Rucola bekannt ist. Noch konnten die Blattrosetten keinen durchgehenden Boden­decker bilden, zwischen ihnen zeigt sich nackte Erde. Zum Probieren gibt es ein einziges Blatt, das etwas bitterer als der kultivierte Rucola schmeckt. „Dieser hier muss sich noch weiter vermehren, ich pflücke ihn an anderen Stelle, wo er inzwischen schon üppiger gedeiht.

Zwischen den bereits genannten Pflanzen sprießt zahlreich die Geschwänzte Brennnessel (Urtica membranacea bot., ortiga span., kat.). Dass sie vegetarische Suppen bereichert, ist bekannt. Klein geschnitten kann die Brennnessel jedoch als Zutat in den Rohkostsalat. Doch auch hier ist Vorsicht angesagt. Es gibt mehrere Brennnesselsorten auf der Insel, und eine von ihnen ist vom Aussterben bedroht. Joan de Ses Herbes betont immer wieder, wie wichtig botanische Kenntnisse, aber auch Wissen über nachhaltiges Sammeln sind. Deshalb gibt er Workshops für Teilnehmer, die dies lernen möchten.

Auch Spitzenköche kooperieren mit dem Kräuterkundigen: Joan berät Marc Fosh, Victor García, Adrian Quetglas und Macarena de Castro zu inseltypischen Geschmacksnuancen für Wildsalate und Gewürze.

Der Weg zurück zum Castell Bellver führt die Treppe aufwärts. Während des Aufstiegs drängt sich eine letzte Frage auf: Sorgt sich Joan angesichts des Klimawandels nicht um seine Speisekammer? „Die mediterrane Vegetation ist es gewohnt, mit viel Hitze und wenig Wasser zu überleben", sagt Joan de Ses Herbes. Die größte Gefahr für Wildpflanzen wären Urbanisationen und der Straßenbau.

Kontakt Joan de Ses Herbes: Tel.: 608-68 02 70