Alberto Forteza verbindet mit Mallorca vor allem Ferien. Die hat er als Kind mit seinen Verwandten in Palma und Cala Figuera verbracht. Alberto Forteza ist trotz des typisch mallorquinischen Nachnamens durch und durch Madrilene, nur wenn er von Ensaimadas spricht, dann benutzt er mallorquinische Wörter wie full. Full, hoja, Blatt, dehnbar, ganz dünn ausgezogen, mit Schmalz beschmiert, gefüllt, eingerollt. Das ist eines der Geheimnisse einer guten Ensaimada, jener typischen Schmalzschnecke, die man auf Mallorca an jeder Ecke kaufen kann, auch am Flughafen kurz vorm Einsteigen. In den runden Kartons wird das runde Insel-Souvenir im Gepäckwagen zum Gate geschoben und verstopft dann die Handgepäckfächer im Flugzeug.

Alles überflüssig, zumindest für Leute, die in Madrid leben oder dort ein paar Tage verweilen. Die Konditorei Formentor im eleganten Salamanca-Viertel bietet seit 60 Jahren so leckere und lockere Schnecken, dass man schnell versucht ist zu sagen „die besten Ensaimadas der Welt".

Fortezas Vater Gaetano hat das Geheimnis der Schnecke 1956 in die Hauptstadt gebracht. Er war mit seiner Frau Josefa auf Hochzeitsreise, das Paar betrieb in Palma eine Konditorei. Kurzentschlossen überließen sie das Geschäft dem Bruder und machten in Madrid die Pasteleria Cafetería Formentor auf. Forteza ist praktisch in der Backstube aufgewachsen. Sein Vater starb in den 80er-Jahren, von da an kümmerte sich die Mutter ums Geschäft und die fünf Söhne.

Ensaimadas gelten in der Hauptstadt heute als Delikatess-Gebäck. Man kann sie mitnehmen oder an einem schmalen Wandtresen mit Kaffee genießen. „Das Teigrezept ist denkbar einfach", sagt Alberto, „aber die Zubereitung ist aufwendig und schwierig." Für ihn, der selbst das Konditorhandwerk nicht gelernt hat, bewahren Ensaimadas bis heute Geheimnisse. „Wenn sie nicht wollen, dann werden sie nichts", sagt er.

Fortezas ensaimadero Tomás Martín weiß, was die Schnecken brauchen. Der 63-jährige ­Madrilene hat bei Gaetano Forteza und bei später hinzugekommenen Mallorquinern das Handwerk gelernt. Heute werden Lehrlinge zur Fortbildung auch nach Mallorca geschickt, und zwar zur Konditorei Pomar mit Filialen in Palma und Campos. „Für meine Begriffe die Beste", sagt Martín. Er und seine Konditoren stellen die Schnecken in vielen Größen und mit süßen und salzigen Füllungen her. „Ein bisschen Innovation muss sein", sagt Martíns Chef Forteza: „Der Teig ist so vielseitig!"

Gerade hat die Konditorei zum 60. Jubiläum das Lokal gewechselt. Der neue Laden mit Café ist klein, elegant und extrem schlicht. Das Design stammt von Kike Keller und Celia Montoya, zwei begehrten Inneneinrichtern und Möbeldesignern, die im Trend-Viertel Triball ihren Laden haben. Es gibt kein Plastik und kaum Farben, stattdessen weiße Wände, hellen Marmor, wenig dunkles Holz, Bronzehaken und -stangen und milchige runde Lampen. Celia Montoya hat sich von alten Arbeitstischen in der Küche inspirieren lassen, den sogenannten mesas tocineras, und beim Schreiner dunkle, niedrige Holztresen in Auftrag gegeben. Auf denen ruhen dreistöckige, quadratisch-schlichte Glasvitrinen mit Blätterteigstrudel, Schmalzschnecken, Hörnchen, Marzipanfigürchen, Sahnetörtchen, Windbeutel und Brandteiggebäck. „In einer Konditorei sollte man nicht versuchen, mit der Ware zu konkurrieren", sagt die Designerin.

Einzig ein Neon-Schriftzug an der Decke des Ganges zwischen Geschäft und Backstube fällt aus dem Rahmen. „Ensaimadas" steht da, wie ein Ortsschild. Wer darunter hindurchgeht, betritt das Einsaimada-Reich, die Backstube. Tomás Martín ist dabei, Schnecken zu drehen. Wie im Schlaf schlägt er die schmalzig glänzenden, mit Kürbiskonfitüre gefüllten Teigwürstchen ineinander. Die belegten Bleche schiebt er in den Gehschrank unter der Arbeitsfläche. Morgen um dieselbe Zeit kommen sie wieder heraus, um das Dreifache gewachsen.

Martín lüftet ein Geheimnis der nur 120 Gramm leichten Schnecken: Je nachdem, wo man sie herstellt, braucht man eine andere Menge an Hefe - je wärmer, desto weniger. „Gaetano war sich anfangs nicht sicher, ob die Schnecken im kalten, trockenen Madrider Klima überhaupt etwas werden", erzählt der Ensaimada-Meister.

Es funktioniert, allerdings variiert Martín die Hefemenge je nach Jahreszeit und Wetterlage. Und um den Teilchen mallorquinische Feuchtigkeit vorzugaukeln, sprüht er jedes Blech mit Wasser ein, bevor er die rohen Schnecken draufsetzt. „Wenn man sie richtig päppelt", sagt er, „dann werden sie auch was."