Der Blick ist streng, die Stimme bestimmend: „Sagen Sie Ihren Freunden bitte, dass sie mit Flip-Flops nicht hereingelassen werden!“ Es ist kurz nach 20 Uhr, als ich vor dem Tabana von der Frau im kleinen Schwarzen gemustert werde. Echt ist ihr Concierge-Lächeln nicht. Ich trage feste Schuhe, Hemd und eine lange Hose. Wie kann diese Dame vor mir annehmen, dass sich meine noch nicht eingetroffenen Begleitungen zum Abendessen Adiletten anziehen?

Ach ja, wir sind ja am Ballermann. Dem Ort, an dem man seit Jahren versucht, ein Mindestmaß an Etikette zu etablieren, ohne sichtbaren Effekt. Im Gegenteil, an der Playa de Palma tobt der Mob. Das neue Restaurant will das Safety-House sein, der Rückzugsraum für Menschen, die gute Unterhaltung schätzen, jenseits der weiß besockten Badelatschen-Party im Kreisklasse-Trikot.

Nicht willkommen, nur geduldet

Die Dame am Eingang vermutet in mir wohl einen verkleideten Anarcho-Touristen und gibt mir unmissverständlich zu verstehen, dass ich hier nicht willkommen, sondern geduldet bin. Und so werde ich mich die nächsten drei Stunden fühlen. Wie ein Zaungast in einer Instagram-Welt, in der die Gesetze des Ballermanns aufgehoben sind. Dabei hat das herrschaftliche Gebäude in zweiter Meereslinie, in dem sich das Tabana befindet, eine schillernde Vergangenheit. In den 90er-Jahren befand sich hier die legendäre Diskothek Zorbas. Nach dem Tod der Besitzer, Joey und Toni Pérez, kaufte der Megapark-Besitzer und Groß-Gastronom Bartolomé Cursach den Laden und machte daraus in den 2000er-Jahren das Steakhaus Asadito.

Das Asadito war ein stylisches Etablissement mit zweifelhafter Küche. Spötter sagten, der Chef des Ladens würde sein eigenes Fleisch mitbringen, so schwankend sei die Qualität der Speisen. 2020, in der Pandemie, entschloss sich Cursach, das Asadito zu verkaufen. Eine mexikanische Investorengruppe, die dort eine Dependance der Vergnügungsshow „Coco Bongo“ etablieren wollte, stieg schnell wieder aus. Jetzt gehört die vielleicht schönste Villa an der Playa den Machern von Hello – The Club, Linos und rund einem Dutzend anderer Bars, Restaurants und Discos. Es sind niederländische Geschäftsmänner, die seit Jahrzehnten besonders in Arenal mitmischen und die Schwierigkeiten der Gegend kennen.

Kaum jemand trägt Jeans

Ein weiterer Angestellter in Schwarz führt uns zum Tisch, vorbei an einer jungen Dame, die leicht bekleidet in einer Halbkugel über den Köpfen der Gäste schwebt und uns zum Gruße zunickt. Was sofort ins Auge sticht, ist die Farbenpracht. Sattes Grün mit der Anmutung einer saftig-feuchten Blumenwiese. Hinzu kommt ein Licht- und Farbkonzept, dass sich pastellig, aber unaufgeregt in das Grün einschmiegt. Und ebenso ästhetisch kommen die Gäste daher. Hier ist keiner schlecht angezogen. Abendkleider in knalligen Tönen bei den Damen, die Herren behemdet und mit teuren Chronometern am Handgelenk. Kaum Jeans. Das Publikum ist nicht nur gut gekleidet, es sieht auch gut aus. Es hat sich zurechtgemacht, als ginge es in die Oper. Eine Ballung der Schönheit, die in der Umgebung tatsächlich ihresgleichen sucht.

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„Es ist wie früher“, schwärmt einer meiner Begleiter, Radja Dalimonthee (81), ehemaliger Direktor der Disco Riu Palace. „Damals kamen die Herren im Anzug und die Damen im eleganten Kleid zu uns in den Club.“ Dann wurde es – mit Dalimonthees Hilfe – immer billiger an der Playa de Palma. Um die Clubs vollzubekommen, lockten die Betreiber mit immer günstigeren Preisen, Freibier und Happy Hour. Das zog um die Jahrtausendwende Gäste an, die das bundesrepublikanische Lebensmotto „Geiz ist geil“ bis zum Maximum ausreizten. Seit einigen Jahren dann die Trendwende, Aufwertung der Hotels, Aufhübschung der Restaurants, Anpassung der Speisekarten. Die neue Speerspitze dieser Veränderung ist das Tabana, dass sich selbst als „kosmopolitisches Restaurant“ bezeichnet.

Für die Ewigkeit und Tausende Follower

Der Speisesaal füllt sich mit Menschen: darunter sehr viele Spanier, die sich selbst, die Gerichte, die Getränke, das Ambiente fotografieren. Hier ist der Ort, an dem sich die Generation Instagram zu Hause fühlt. Ein Model-Mädchen schlendert vermeintlich interessiert schauend durch den Raum, während ihr Begleiter zwei Meter dahinter mit leicht gebeugten Schultern die Szene für die Ewigkeit und Tausende Follower festhält. Dabei reißen Kleinkünstler die Gäste mit ihren Darbietungen immer wieder kurz aus der Bildbearbeitung: Feuerschlucker, Flamenco-Tänzerinnen, Artistinnen hauchen dem Tabana die Seele ein, die an dieser Sündenmeile längst verloren schien.

Bei diesem Rahmenprogramm ist zu erwarten, dass sich die Gehälter der Darsteller in den Preisen auf der Speisekarte wiederfinden, und so ist dem auch. Ein Hamburger kostet 22 Euro (ohne Beilagen), das Risotto mit Trüffel und Spargel 31 Euro. Teuerstes Gericht auf der Karte ist ein 250-Gramm-Wagyu-Steak in Blattgold für 230 Euro.

Beim Schnitzel ist noch Luft nach oben

Auf Anraten meines Begleiters Radja wähle ich das Wiener Schnitzel mit hausgemachtem Kartoffelsalat für 24,90 Euro. Gut, so etwas muss man nicht im Urlaub essen, aber da ich ja auch keinen Urlaub habe, ist das für mich in diesem Moment okay. Aber auch nur einen Moment. Der Kartoffelsalat ist eine sämige Matsche ohne Geschmack – quasi der Gegenentwurf zum Ambiente –, und das Schnitzel ist mit einem Zentimeter viel zu dick. Radja hingegen blickt zufrieden von seinem Entrecôte (32,90 Euro) auf. Bei ihm gibt es nichts zu meckern.

Aber bei mir. Vom Leeren des Glases über die neue Bestellung bis zur Anlieferung des Nachschubs vergehen durchaus mal 25 Minuten. Am Ende des Abends, der drei Stunden geht, stehen 187 Euro auf der Rechnung, darin enthalten auch noch drei Hierbas (6 Euro pro Glas), mehrere Aperol Spritz (8,90 Euro) sowie ein Wasser (0,3 Liter für 3 Euro). Um 23 Uhr, als wir den Laden verlassen, dreht der DJ die Musik auf, nach dem Dinner folgt die Party der schönen Menschen.

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Eine schöne neue Welt im Sperrbezirk

Fazit: Auch wenn das Tabana einige Defizite ausweist, wie etwas verschlafene Bedienungen oder einen Koch, der keine Lust hat, das Schnitzel platt zu klopfen, ist es einen Besuch wert. Es gibt viel zu gucken, viel zu erleben, eine neue schöne Welt im Sperrbezirk. Eine Reise fast aller menschlichen Sinne. Nur der Gaumen bleibt bisher außen vor.