Mallorca Zeitung

Mallorca Zeitung

Ruben Östlund Regisseur von "Triangle of Sadness"

Warum ein weltbekannter Regisseur auf ein Mallorca-Dorf ohne Meerlage abfährt

Der schwedische Oscar-Kandidat Ruben Östlund im großen MZ-Interview über Reichtum, Männlichkeit und seine zweite Heimat

Ruben Östlund provoziert und will herausgefordert werden. Der 48-Jährige gehört zu den gefragtesten Filmregisseuren unserer Zeit. | FOTO: NELE BENDGENS

Bester Film, beste Regie, bestes Drehbuch – Ruben Östlund war vor zwei Wochen bei drei der wichtigsten Oscar-Kategorien nominiert, ging aber leer aus. Am Freitag stellte er seinen Film „Triangle of Sadness“ erneut im CineCiutat vor. Die MZ traf den 48-jährigen Schweden in seinem Haus in Campos. Dort wohnt er seit einem Jahr mit seiner deutschen Frau Sina und ihrem gemeinsamen anderthalbjährigen Sohn. Auch die Eltern von Sina leben auf Mallorca.

Sie pendeln zwischen Göteborg und Mallorca. Was hat Sie nach Campos verschlagen?

Campos ist für mich der beste Ort auf der Insel. Er ist nicht so überflutet von Touristen, und das Dorf ist das ganze Jahr über voller Leben. Zumal ich die Küste im Süden und Osten sehr schätze. Ich habe hier zwar ein paar schwedische Freunde, die ebenfalls in der Filmindustrie arbeiten, bin aber ansonsten von meiner Nachbarschaft fasziniert. Gegenüber wohnen drei ältere Schwestern. Nebenan ist ein Laden, der Markisen herstellt. Mit dem Besitzer rede ich täglich. Hier ist alles fußläufig erreichbar. Das gefällt mir. In Schweden – in Deutschland wird es ähnlich sein – sterben die Kleinstädte langsam aus. Die Großstadt verschlingt alles.

Nur der Oscar fehlt Ruben Östlund noch

Mit zwei Goldenen Palmen in Cannes (2017 für „The Square“ und 2022 für „Triangle of Sadness“) und etlichen Oscarnominierungen ist Ruben Östlund derzeit einer der erfolgreichsten Filmemacher der Welt. Weitere international bekannte Filme von ihm sind „Play – nur ein Spiel“ (2011) sowie „Höhere Gewalt“ (2014). „Triangle of Sadness“ dreht sich um die Konflikte zwischen Luxusurlaubern und dem Personal einer Yacht. Die Verhältnisse kippen, nachdem das Schiff kentert. Viele Szenen haben autobiografische Bezüge. Die Deutsche, die nur noch „In den Wolken“ sagen kann, ist etwa von Östlunds Schwiegermutter inspiriert. Das Modelpaar Carl und Yaya ist an Östlunds Ehe mit der Hamburger Modefotografin Sina angelehnt.

Sie sind gerade von den Oscars zurückgekehrt. Ärgern Sie sich, dass Sie den Rückflug ohne Statue antreten mussten?

Seitdem „Triangle of Sadness“ in Cannes debütierte, toure ich mit ihm um die Welt und versuche, die Aufmerksamkeit der Medien und des Publikums zu bekommen. Als die Oscarnominierungen kamen, lief der Film schon nicht mehr auf der Leinwand. Allein, dass er zum Kandidatenkreis gehörte, brachte den Film in den USA erneut in 500 Kinos. Die Goldene Palme in Cannes ist etwas für Kenner, aber die Oscars sind ein Massenprodukt. Den Monat vor der Preisverleihung habe ich mich als Gewinner gefühlt. Nach der Nacht kamen zwei Wochen lang Leute an, die ihr Bedauern bekundet haben. Danach war alles vorbei.

Hatten Sie schon eine Siegerrede parat?

Na klar! Die ging in etwa so: Verehrtes privilegiertes Publikum. Dieser Film ist über euch.

Ruben Östlund im MZ-Interview. Bendgens

Sie sind selbst Mitglied der Akademie, die die Gewinner wählt, und haben im Mai den Vorsitz in der Jury von Cannes. Wie schauen Sie als Preisrichter auf die Filme?

Mir ist es wichtig, dass die Filme als Kunstwerk Fragen aufwerfen. Ich will über Dinge nach- denken, über die ich mir vorher keinen Kopf gemacht habe oder zumindest sie aus anderen Perspektiven sehen. Dann kommen viele Details hinzu. Zum Beispiel, wie ein Film vor Publikum funktioniert. Besonders in Cannes, wo man die Filme im großen Saal anschaut. Bei den Oscars kann man heutzutage mit einer App alles auf dem Handy gucken.

Also kann es sein, dass Sie für einen Film stimmen, obwohl der Ihnen aus ästhetischer Sicht gar nicht gefallen hat?

Definitiv. Mir passiert es oft, dass mich ein Film provoziert und ich ihn einfach nicht aus dem Kopf bekomme. Dann grüble ich: Liegt es an mir und meinem konservativen Denken, dass ich ihn nicht ausblenden kann? Oder stimmt etwas mit dem Film nicht? Das ist ein Zeichen, dass die Provokation erfolgreich war.

Und was provoziert Sie?

Derzeit besonders der Umstand, dass wir die Allgemeinheit über Individuen erklären wollen. Sprich, wir ordnen einzelne Personen in ein „Böser Typ“-„Guter Typ“-Schema ein und wollen damit ihre Handlungen begründen. Besser wäre es, ihr Verhalten in einem Kontext einzuordnen. Nehmen wir die Medien: Ohne einen Protagonisten und Antagonisten, ohne einen Konflikt, gibt es keine Nachricht. Ich habe ein Faible für Gesellschaftsstudien, wie das klassische Milgram-Experiment. Eine Testperson geht in einen Raum und der Doktor weist ihn an, einer anderen Person Elektroschocks zu verpassen. Aus soziologischer Sicht dürfen wir dem Typen, der die Schocks verteilt, keine Schuld geben. Es zeigt uns, dass eine Hierarchie unter diesen Bedingungen uns zu so einem Verhalten verleiten kann.

Prinzipiell finde ich, ist es uns gestattet, über die Oberschicht zu lachen. Über die Arbeiterklasse sind Witze tabu.

decoration

Viele Zuschauer lachen in Ihrem Film beim Anblick der reichen Frau, die im Schiffsklo in Kot und Kotze herumschlittert. War die Schadenfreude geplant?

Prinzipiell finde ich, ist es uns gestattet, über die Oberschicht zu lachen. Über die Arbeiterklasse sind Witze tabu. Meine Idee war allerdings, den Reichen so viel Schaden zuzufügen, dass das Publikum Mitleid empfindet und „Stopp“ sagt. Bei der Toilettenszene sollte dieser Punkt erreicht sein.

Das hat nicht wirklich geklappt …

Das hängt von der Empathie der Zuschauer ab. Manche lachen nicht oder hatten gemischte Gefühle. Dem Publikum ist es bewusst, dass es sich um eine fiktive Geschichte handelt. Ich habe keine Probleme damit, eine fiktive Person auszuschlachten. Niemand nimmt wirklich Schaden. Ich nehme es niemandem böse, wenn er lacht. Anders sieht es aus, wenn das mit echten Leuten im wahren Leben passiert. Dann wird die Sache ernst.

Bekommen die Reichen, was sie verdienen?

Ich glaube nicht, dass sie irgendetwas verdienen. Man kann den Reichen nicht vorwerfen, dass sie ein komfortables Leben führen. Das wäre ein hoffnungsloser Kampf. Auch hier will ich wieder diesen Schritt weg von der Bewertung einzelner Personen machen. Das alte britische Ehepaar, das durch Landminen reich geworden ist, sind die nettesten Charaktere, die ich je geschaffen habe. Das war mein Ziel. So komplex ist die Welt. Wir finden nicht nur böse Typen unter Kriminellen. Das sind Vorurteile. Es gibt gute und böse Menschen in allen Gesellschaftsschichten. Ich zähle mich auch zu den reichen Leuten. Wir sind nette Menschen, haben aber keinen Bock, Steuern zu bezahlen.

Als ich da so saß und sich die Leute an mir vorbei in die Economy Class drängten, merkte ich, wie ich plötzlich langsamer am Champagner nippte, Häppchen aß und die Zeitung las.

decoration

Im Film wollen Sie zeigen, wie sich das Verhalten nach einem sozialen Auf- oder Abstieg wandelt. Sie selbst haben es zu Reichtum gebracht. Hat sich Ihr Benehmen auch verändert?

Mit „Höhere Gewalt“ habe ich erstmals gutes Geld mit einem Film verdient und konnte anschließend Business Class fliegen. Als ich da so saß und sich die Leute an mir vorbei in die Economy Class drängten, merkte ich, wie ich plötzlich langsamer am Champagner nippte, Häppchen aß und die Zeitung las.

Warum?

Es sollte einfach eleganter wirken. Mir war mein Verhalten bewusst. Dafür schämte ich mich. Ich wollte nicht mit Reichtum prahlen. Vielleicht lag es am neu gewonnenen Selbstvertrauen. Gewissermaßen stecke ich selbst in meinen Filmen drin. Ich setze mich einem Dilemma aus, um zu sehen, wie ich reagieren würde.

Wie gehen Sie heute mit dem Thema um?

Ich bin lieber reich als arm. Wobei das eine Frage der Perspektive ist. Meine Mutter ist seit den 60er-Jahren eine Linke und eine der wenigen, die sich heutzutage noch als Kommunistin bezeichnet. Sie würde sich nie als reichen Menschen betrachten. Setzen wir sie aber in einen globalen Vergleich, ist sie das. Als ich nach Mallorca kam, war das offensichtlich. Hier gibt es eine viel größere Armut als in Skandinavien.

Sie haben Ihre vergangenen drei Filme als Trilogie über das Mannsein bezeichnet. Welche Quintessenz ziehen Sie nach dem Abschluss?

Ich schäme mich heute nicht mehr dafür, ein Mann zu sein. Besonders im skandinavischen Raum gab es eine unausgesprochene Debatte um die Gleichstellung der Geschlechter. Die kam auf, als ich um die 20 war und im Prozess steckte, ein Mann zu werden. Die Debatte drängte viele Männer dazu, einen Blick von außerhalb auf sich und ihr Verhalten zu werfen. Ich will mich aber nicht so benehmen, wie es mir die Geschlechterrolle vorschreibt. Die Angst, das Gesicht zu verlieren, ist in der schwedischen Kultur stark ausgeprägt. Auch ich stand vor dieser Hürde. In „Höhere Gewalt“ habe ich sie umgesetzt. Ein Mann ist mit seiner Familie im Skiurlaub. Als eine Lawine auf sie zurollt, rennt er weg, statt sie zu beschützen. Es stößt ihnen zwar nichts zu, aber er hat die Regeln des Mannseins gebrochen. Statt den Fehler einzugestehen, stürzt er sich in ein Lügengebilde.

Wie haben Sie diese Scham verloren?

Indem ich drei Filme darüber gemacht habe, die meinen sozialen Status angehoben haben. Meine Frau hat mir erklärt, dass der deutsche Adel so stolz ist, dass er trotz jeglicher Fehltritte seine Würde nicht verliert. Das müssen Sie aber mit einem Augenzwinkern schreiben, sonst wirkt das arrogant. Das Alter spielt dabei wohl auch eine Rolle.

Die Geschlechterrolle wird im Film bei der Restaurantszene diskutiert, in der es darum geht, wer die Rechnung zahlt. Die Idee stammt von einem Erlebnis mit Ihrer Frau?

Da trafen die deutsche und die schwedische Kultur aufeinander. Ich habe wie der Mann im Film bezahlt und mich im Anschluss tierisch darüber aufgeregt. Das war am Anfang unserer Beziehung. Wir waren schon an einem Punkt angelangt, wo wir die Schutzschilde runtergefahren haben und offen miteinander umgegangen sind. Ich habe ihr klargemacht, dass ich nicht ihr Sugardaddy bin. Nicht, dass sie das wollte, aber so habe ich mich in dem Moment gefühlt. Ich mochte sie zu sehr, als dass ich sie sitzen lassen wollte. Als Künstler ist es mir wichtig, ehrlich zu sein. Wenn ich meine Schwächen verstecke, spreche ich das Publikum nicht an. Die Leute wollen sich in den Filmen wiedererkennen. Diese Momente, in denen man denkt: Endlich spricht das mal einer aus.

Ruben Östlund mit seinem Sohn.

Ruben Östlund mit seinem Sohn. Nele Bendgens

Wer zahlt heute bei Ihnen die Rechnung?

Wir nutzen die App „Revolut“. Die kann ich nur empfehlen. Dadurch werden die Kosten aufgeteilt. Das verhindert eine Manipulation durch den Partner. Wenn sie im Restaurant einen Moment zögert, greife ich zur Rechnung. Bei der Sorge um unseren Sohn ist es andersrum. Wenn ich zu lange warte, springt sie auf. In beiden Angelegenheiten ist es nicht fair.

Im wahren Leben gab es ein Happy End, im Film hingegen ein offenes Ende …

Von wegen Happy End! Mir geht es nicht gut. Eine Beziehung mit zwei gleichberechtigten Partnern ist ein endloser Kampf. Im Leben gibt es kein Happy End. Im Film wollte ich dem Publikum die Chance geben, sich mit beiden Optionen identifizieren zu können. Bringt die Putzfrau Abigail das Model um, um ihre neu gewonnene Stellung zu erhalten? Oder lässt sie den Stein fallen und verliert alles? Persönlich glaube ich weniger an den Mord, da der früher oder später auffliegt.

Mallorca wäre ein großartiger Drehort.

decoration

In Ihrem nächsten Film „The Entertainment System is Down“ lassen Sie die Bordunterhaltung im Flugzeug ausfallen. Werden Sie hier drehen?

Ich brauche etwa drei Jahre für einen Film. Die Geschichte habe ich von Anfang bis Ende im Kopf. Heute ist der erste Tag, an dem ich das Skript herunterschreiben möchte. Ich bin in Gesprächen mit Pedro Barbadillo, dem Leiter der Mallorca Film Comission. Mallorca wäre ein großartiger Drehort. Es ist einfach, die Leute herzubringen. Der Flughafen ist groß und ich habe einen Hangar gefunden, wo wir in echten Flugzeugen drehen könnten, um nicht alles im Studio nachbauen zu müssen.

Warum hoffen Sie, dass der Film zu einer Massenflucht beim Filmfestival in Cannes führt?

Wir haben heutzutage alle Möglichkeiten, um uns abzulenken und nicht zu langweilen. Für die Menschheit ist es eine schmerzliche Erfahrung, mit den eigenen Gedanken alleingelassen zu werden. Auch hier gab es ein Experiment. Die Probanden empfanden es als Folter, minutenlang nichts zu tun. Über 40 Prozent haben sich selbst Elektroschocks zugefügt, um sich nicht zu langweilen. Im Film will ich die Langeweile eines Kindes in Echtzeit zeigen. Das soll die Massenflucht als Protest provozieren.

Führt das nicht zu schlechten Kritiken?

Das wäre perfekt für mich. Die Zuschauer wollen herausgefordert werden. Das gebe ich ihnen. Wenn das Publikum unterhalten werden will, dann müssen sie das aushalten. Schauen wir mal, ob die Leute den Schneid dafür haben.

Artikel teilen

stats