Anfang der 60er-Jahre stand das New Yorker Stadtviertel Greenwich Village vor dem Ende. Es war offiziell zum Slum deklariert worden, neu hochgezogene Gebäude sollten die alten, dicht aneinandergebauten Häuser ersetzen. Doch dann regte sich der Protest der Bewohner und das Viertel wurde saniert statt abgerissen. Anführerin des Protests war die Journalistin und Aktivistin Jane Jacobs (1916-2006). In den folgenden Jahren machte sie sich als Architektur -und Stadtkritikerin einen Namen. 1969 zog sie nach Toronto.

In ihrem Namen wurden 2007 die Jane´s Walks eingeführt, die am kommenden Wochenende (6./7./8.5) zum ersten Mal auch in Palma stattfinden. Die Idee ist einfach: Die Bewohner einer Stadt sind die größten Experten, wenn es um ihren Lebensraum geht. Sie kennen unzählige Geschichten, die erzählt werden wollen. Bei den Jane´s Walks kann man sich diese Erzählungen anhören und ein bisschen mehr über die Stadt lernen.

Die kleine Idee aus Toronto ist mittlerweile eine globale Erfolgsgeschichte: In über hundert Städten führen die Menschen Besucher und Mitbürger durch die Stadt. Organisiert werden die Jane´s Walks in Palma von der Künstlerin Natxa Pomar und der Architektin Maria Gómez. Letztere hat in den vergangenen Jahren in Toronto gearbeitet und war dort mit den Organisatoren des Jane´s Walk in Kontakt gekommen. „Allein in Toronto gab es vergangenes Jahr über 170 Führungen. In New York waren es sogar noch mehr. Ich habe gedacht: Das brauchen wir in Palma auch."

Natürlich geht es bei den Spaziergängen um mehr, als nur gemeinsam ein paar Anekdoten über die Stadt zu erfahren: „Das Ziel der Jane´s Walks ist es, eine kritische Masse zu generieren. Das geht im besten Fall weit über diese Spaziergänge oder über andere Projekte hinaus. Die Menschen sollen sich ihrer Stadt bewusst werden und aktiv daran beteiligt werden, wo sie sich hin entwickelt."

Gerade in Zeiten, in denen der Wohnraum in ­europäischen Innenstädten immer teurer wird, klingt das wie eine gute Idee, um dagegen anzugehen. Aber Gómez wiegelt ab: „Es geht nicht per se um ­Widerstand gegen diesen Prozess der Gentrifizierung. Vor allem sollen die Leute sich kennenlernen und erst einmal miteinander reden."

Und so hängen auch die Organisatorinnen die Ziele niedrig: In diesem Jahr gehe es vor allem darum, die Spaziergänge bekannt zu machen, sagt Gómez. Dabei sind die 14 angebotenen Touren (siehe Kasten) eigentlich schon ein großer Erfolg und beweisen das Interesse, das die Menschen haben, sich über ihre Stadt mitzuteilen.

Vor allem die Vielfalt der Ideen beeindruckt Pomar und Gómez. „Es gibt eher persönliche Routen, wie die Tour 7 von der Autorin Mar Rayó, die über das Lesen in der Stadt erzählt. Aber auch Spaziergänge mit klarem sozialen Hintergrund, wie die Tour 1 durch das Problemviertel Son Gotleu", sagt Gómez. „Andere haben einen künstlerischen Fokus, wie etwa die Tour 6, bei der man durch die Stadt zieht und zeichnet. Oder einen thematischeren Ansatz wie die Tour 4, bei der es um die Vegetation der Stadt geht."

Die vergleichsweise große Anzahl an Touren erklären die beiden Organisatorinnen, die selbst keinen Rundgang anbieten, auch mit den Vorbildern aus anderen Städten. „Dadurch, dass wir wussten, wie andere Städte das machen, konnten wir es den Leuten hier gut erklären", sagt Gómez. „Dadurch haben wir viele zur Teilnahme ermuntern können." Und mit ein bisschen mehr Zeit hätten es noch mehr werden können: „Viele haben uns schon Ideen für das nächste Jahr angekündigt, die mehr Vorbereitungszeit brauchen."

Natxa Pomar glaubt, dass die große Resonanz auf die Rundgänge noch einen anderen Grund haben könnte: „Diese Initiative gibt den Leuten eine Stimme, etwas über ihr Viertel zu erzählen. Es ist ein Mikrofon, das sonst nur die Medien haben."

Mit Jane's Walks Palma entdecken

Auch die MZ ist Teil des Programms des diesjährigen Jane´s Walk (Tour 2). Am Freitag (6.5.) um

17 Uhr beantworten die Redakteure Stephanie Schuster und Patrick Schirmer Sastre die Frage „Was machen all die Deutschen in Palma?"

Los geht es im Carrer Sant Feliu, 17. Der zweistündige Rundgang wendet sich vorrangig an Einheimische. Leser, die Spanisch oder Katalanisch sprechen, sind natürlich auch willkommen. Ansonsten gibt es folgende Touren, allesamt kostenlos (Facebook: Jane´s Walk Palma):

Freitag (6.5.)

Tour 1: Son Gotleu - ein Soziologe und ein interkultureller Schlichter führen durch das konfliktreiche Viertel. 17 Uhr, Cami Son Gotleu, 83, 90 Min.

Tour 3: Via Corrupta - eine Tour durch die Korruptionsgeschichte der Stadt. 19 Uhr, C/. Sindicat, 21, 180 Min.

Samstag (7.5.)

Tour 4: Eine Tour der Baumfreunde zum Thema Vegetation in Palma. 10 Uhr, Brunnen auf der Rambla, 90 Min.

Tour 5: Santa Catalina und seine verschwindenden Geschäfte mit Fotos aus dem Jahr 1983. 10.30 Uhr, Plaça Progres, 60 Min.

Tour 6: Urbanes Zeichnen in Santa Catalina. Eine Tour mit Block und Bleistift (bitte selbst mitbringen). 11 Uhr, Glorieta pau Casals, 150 Min.

Tour 7: Eine Tour durch die Buchläden der Stadt. 12.30 Uhr, Eingang Parc Ses Estacion hinter der U-Bahn-Station, 90 Min.

Tour 8: La Soledat - ein Spaziergang durch ein altes Arbeiterviertel. 17 Uhr, C/. Siquier, 18, 90 Min.

Tour 9: Ältere Bewohnerinnen von Sant Agustí erzählen vom Viertel ihrer Kindheit. 17 Uhr, C/. Joan Miró, 321,

90 Min.

Tour 10: Street Art in Palma und die Menschen dahinter. 19 Uhr, Brunnen Plaça Joan Carles I, 90 Min.

Tour 11: Nächtlicher Lärm in Santa Catalina und Es Jonquet. 21 Uhr, C/. Sobreposats, 3, 60 Min.

Sonntag (8.5.)

Tour 12: Das Viertel La Soledad als Fenster zur Welt. 10 Uhr, Spielplatz Can Blau, 90 Min.

Tour 13: Lebenskünstler in Multi-Kulti-Vierteln wie Son Gotleu. 12 Uhr, Parkeingang neben Sportplatz Germans Escalas, 120 Min.

Tour 14: Palma aus der Sicht ausländischer Schriftsteller. 18 Uhr, Kirche Sant Miquel, 90 Min.