Harsche Wirklichkeit statt mediterranem Kitsch - die Manacor-Aufnahmen von Iris Wagner stehen in einem deutlichen Kontrast zu den sonnigen Strand-und-Meer-Fotos, die der Begriff „Mallorca" vor das innere Auge zaubert. Zehn Jahre lang fotografierte die 2014 verstorbene Urenkelin von Richard Wagner die zweitgrößte Stadt der Insel, nun werden diese Bilder erstmals öffentlich gezeigt.

Es waren die Besuche bei ihrem auf der Insel lebenden Bruder Wolf Siegfried, die Iris Wagners Interesse an Manacor weckten. Während er als Architekt Villen und Fincas für wohlhabende Inselresidenten verwirklichte, beschäftigte sich die Übersetzerin und Fotografin mit „der Wirklichkeit, die sich einbrennt", so Wolf Siegfried Wagner in der Einleitung des Katalogs zur Ausstellung „Manacor". die derzeit im Berliner Ableger der Galerie ­Kewenig zu sehen ist.

Treibende Kraft hinter der Schau war neben Wolf Siegfried Wagner der Berliner Architekt und Fotograf Walther Grunwald. Iris Wagner selbst hatte Grunwald einst 16 Filme in die Hand gedrückt, wollte daraus gemeinsam mit ihm ein Projekt machen. Die Bilder hätten ihn sofort fasziniert, erklärt der 75-Jährige: „Es waren und sind keine Einzel­fotos, sondern Serien, die sich von der Schärfe zur Unschärfe entwickeln."

Sie zeugen von der großen Handwerkskunst der 1942 geborenen Fotografin, die in Manacor nicht mit einer Spiegelreflexkamera, sondern mit einer Leica arbeitete: „Da sieht man die Unschärfen nicht im Sucher, sondern kann sie nur über die Fokussierung erreichen", erläutert

Grunwald. Menschen sind auf Wagners Bildern kaum zu sehen, und wenn dann als verschwommene Silhouetten. Hauptmotiv ist das Unfertige, das Hässliche, das Gewöhnliche - in Ungewöhnliches verwandelt.

Vermüllte Grundstücke, der betonierte Bachlauf, die in die Jahre gekommene Trabrennbahn, die aus der von Wagner gewählten Perspektive die Erinnerung an die Franco-Zeit wieder aufleben lässt. Es sind Fotos von einem ganz anderen Mallorca, aber „kein Schlachtfest", wie Grunwald findet: „Iris Wagner wird Manacor mit ihrem kritischen Auge gerecht."

Der 75-jährige Grunwald besuchte die „triste Stadt, mit der Iris sich über Jahre auseinandergesetzt hat", im vergangenen Oktober und besprach mit Wolf Siegfried Wagner abschließende Details. Obwohl er gar nicht gezielt auf den Spuren der Fotografin wandeln wollte, kam er um das ein oder andere Déjà-vu nicht herum: „Die Motive begegnen einem", sagt er. Dabei seien die Schwarz-Weiß-Aufnahmen kein Fotoessay über Manacor, sondern vielmehr „eine Art Lebenshaltung, die sie selbst durch die Fotografie überprüft". Und bei der sogar das vermeintlich Schöne, der private Luxus, plötzlich befremdlich wirkt. Denn auch die Palmenspiegelung auf der Wasseroberfläche des Pools lässt den Betrachter mit einem Gefühl der Tristesse zurück.

Die Bilder, die laut Grunwald nach der Ausstellung in Berlin unmittelbar zur Generalprobe der diesjährigen Festspiele in Bayreuth präsentiert werden, sollen irgendwann auch in der Galerie Kewenig in Palma gezeigt werden. Dann können sich auch die Insulaner mit der Frage beschäftigen, die Wolf Siegfried Wagner seiner Schwester nach deren zahlreichen Exkursionen mehr als einmal stellte: „Was siehst du denn in Manacor, was ich nicht sehe?" Worauf sie stets lächelnd antwortete: „Das wirst du schon sehen."

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