Es sind diese jungen, weltoffenen Einheimischen, die dem Kultur­leben der Insel immer öfter Gehalt und Leben geben. Tomeu Simonet zum Beispiel, von der Galerie Addaya Art in Alaró, oder Pere Joan Oliver aus Sineu. Die beiden haben sich, gemeinsam mit ihren jeweiligen Geschäftspartnern, auf einen äußerst ansprechenden Deal geeinigt. Pere Joan Oliver, 34-jähriger Innenarchitekt und Barbetreiber, hat vergangenen Mai den Bahnhof von Sineu übernommen und Simonet die oberen beiden Etagen zur ­Bestückung mit Kunst überlassen.

Gerade ist die zweite Ausstellung angelaufen: Gezeigt werden bis Ende des Jahres Werke der argentinischen Künstlerin ­Mariana Sarraute. Die farbintensiven Acrylbilder wirken leicht und traumhaft. In der Serie „El adivino químico" (Der chemische Wahrsager) hat die 43-jährige Künstlerin die Entstehung des Lebens thematisiert und in Bezug zu mittelalterlicher Alchemie sowie zu künstlichen und natürlichen Zeugungsprozessen gesetzt. Sarraute arbeitet und lebt in Santanyí. In ihren halb figurativen Bildern kombiniert sie alte Symbole mit abstrakten Elementen, arbeitet in Schichten, vermengt Farben, Assoziationen und Bedeutungen.

Die Dörfler machen mobil

Tomeu Simonet, der mit seiner französischen Frau und Geschäftspartnerin auch für die Kulturzentren Son Tugores in Alaró und Sa Quartera in Inca arbeitet, vertritt Sarraute seit rund fünf Jahren. Die Zusammenarbeit mit Sineu passt in sein Konzept.

Simonet verteidigt die Dezentralisierung der Kunstszene und arbeitet vorzugsweise mit Kulturzentren und Galerien in kleinen Orten, wie Sineu mit seinen rund 3.700 Einwohnern zusammen. Seit einigen Jahren flicht er Netzwerke mit Gleichgesinnten, die seinen Künstlern und ihm zugute kommen. Auf der Insel, dem spanischen Festland und in Frankreich werden Ausstellungen und Künstleraufenthalte gemeinsam organisiert.

„Tomeu ist ein Profi, er hat ein gutes Auge und ist zuverlässig", sagt Pere Joan Oliver zur Wahl des Galeristen. Als ein Ort der Kunst ist der Bahnhof am nördlichen Ortsrand seit Langem bekannt. Der Deutsche Klaus Drobig betrieb dort 24 Jahre lang das Centre D´Art S´Estació. Mit Ausstellungen jeder Couleur und einem selbsterstellten Konzept erreichte Drobig ein breites Publikum. Vor zwei Jahren übernahm das Gebäude dann Mallorcas Bahngesellschaft Serveis Ferroviaris de Mallorca (SFM). Die Konditionen änderten sich, Klaus Drobig zog sich zurück.

Drei öffentliche Ausschreibungen zur neuen Nutzung des Bahnhofs waren nötig, bis Pere Joan Oliver und Partner den Zuschlag erhielten. Nun erzählen sie die Geschichte des 1878 eingeweihten Bahnhofs weiter. Das Gebäude wurde in den 20er des vorigen Jahrhunderts erweitert. Bis zur vorübergehenden Schließung der Bahnlinie Sineu-Palma in den 70er Jahren wohnte in den oberen Etagen Bahn­personal. Heute fährt der Zug wieder im Stundentakt.

Pere Joan Oliver hat das Haus an den Gleisen mit seinem Cousin José Gabriel Ferriol und seiner Lebenspartnerin Aina Sastre renoviert, eingerichtet und „Vi-ès" genannt, ein Wortspiel aus „Gleise" und „Wein". Das Trio nennt sich als Firma Tren d´Oci (Freizeit-Zug) und personifiziert das Konzept. Pere Joan Oliver führt in Sineu auch das Lokal E-Café und das Einrichtungsstudio E-Design. Sastre spricht vier Sprachen und war Eventmanagerin für die Hilton-Kette in Barcelona. Ferriol führt in Sineu den Weinkeller und das Hotel Can Font. Zwei mallorquinische Köche mit Auslandserfahrung bieten eine kleine Auswahl internationaler Gerichte.

Neben Kunst, feiner Gastronomie und schönem Ambiente gibt es im Bahnhof auch Koch- und Tanzkurse, Weinverkostungen, Livekonzerte und DJ-Sessions. Zum Beispiel haben die Swing- und Salsa-Szenen der Insel dort eine neue Heimat gefunden, und Clubs wie das Café Milano in Port d´Alcúdia leihen DJs und schicken ihre Stammgäste ins Vi-és.

Von einer Bahnhofskneipe hat das dreistöckige Gebäude also nichts, nicht einmal das Publikum. „Die meisten Fahrgäste sind so in Eile, dass sie keine Zeit mehr für einen Kaffee haben", sagt Pere Joan Oliver. Er ist in Sineu aufgewachsen und liebt den Bahnhof. Mit Begeisterung spricht er von Einrichtungsdetails, die noch fehlen und zeigt stolz einen Original-Fahrkartenschalter im Jugendstil, der den hinteren Teil des Restaurants ziert.

Zeichen des Aufschwungs?

Die Initiative ist eine Bereicherung und vielleicht auch Zeichen eines Wiedererwachens. „Ab 2008 ging es mit Sineu bergab", erzählt Pere Joan Oliver. Das alternative Sozial- und Kulturzentrum Sa Farinera, nur ein paar Meter entfernt, musste kürzlich schließen, der Bahnhof war zwei Jahre lang geschlossen, viele Büros, Lokale und Geschäfte ebenso. Blickt man vom ersten Stock des Gebäudes auf die Gleise, sieht man jenseits davon ein Lager für Baumaterialien und den Gewerbepark. Dort geht es seit Ausbruch der Krise ruhig zu.

Auf der anderen Seite bietet ein Fenster einen Blick auf den Dorfplatz, zur Kirche und zu zwei herausragenden Anwesen, dem Palau dels Reis und dem Schloss des Grafen Rossinyol de Defla, beide errichtet im 14. Jahrhundert auf den Mauern arabischer Anwesen. All das gehört zu Sineus Geschichte und Identität, ebenso wie der Bahnhof und die geometrische Skulptur, die seit vielen Jahren vor seiner Fassade über der Straße hängt. Klaus Drobig hat sie einst installieren lassen, wann, das weiß Pere Joan Oliver nicht mehr. „Sie hängt da, seitdem ich denken kann", sagt er andächtig, „und das soll auch so bleiben."

Vi-és, Centre d´oci. Carrer Estació 2, Sineu. Telefon: 680-52 64 77. Öffnungszeiten: Mi, Sa, So: 9-1 Uhr,Di, Do, Fr: 9-12 und 17-1 Uhr. Montags geschlossen. Mittags- und Abendküche, Barbetrieb, Galerie. Facebook: Vi-és Sineu.

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