Flip-Flops sind die richtigen Arbeitsschuhe, wenn man im Sommer einen Monat als Künstler im Kulturzentrum Andratx lebt. Die vier ebenerdigen Studios sind hell und haben eine Glaswand. Ein paar Meter hinter dem großen Haus, durchs Grün in Richtung Tramuntana, liegt ein Pool. Dort ragt ein Massiv hoch auf, man sieht einen Kiefernwald, im Rücken das Kulturzentrum, das seit 13 Jahren Künstler zu Arbeitsaufenthalten einlädt.

Die Stipendien des CCA sind beliebt. Rund 500 Künstler aus mehr als 20 Ländern haben die Gastfreundschaft der dänischen Betreiberin Patricia Asbæk schon genossen und in einem der Ateliers vier oder sechs Wochen ge­arbeitet. Der Aufenthalt ist kostenlos. Als Gegenleistung behält Asbæk gerne ein Werk für ihre Sammlung.

Den ganzen Monat Juni haben nun Bernhard Brungs und Slawomir Elsner hier in Flip-Flops verbracht. Sie wirken entspannt und leicht gebräunt. 120 Quadratmeter Atelier, Küchenzeile, Nasszelle, Bett, darum herum Mallorca - mehr war nicht nötig. „Großartig" und „phantastisch" sei der Monat gewesen, sagen die Freunde. Elsner hatte Frau und Kind dabei. Er und Brungs kennen sich aus Berlin, wo die beiden arbeiten.

Elsner wurde 1976 in der polnischen Stadt Wodzislaw Slaski geboren, Brungs 1974 in Bielefeld. Mit einem gemeinsamen Projekt namens „Muse" haben sie sich beim CCA beworben - ein guter Begriff, um die Arbeit von Brungs und Elsner zu verbinden.

Die Erzählung „Das unbekannte Meisterwerk" von Honoré de Balzac 1831 publiziert, war der gemeinsame Ausgangspunkt. Darin spielt das Aktporträt einer Frau eine Rolle, bei dem nur ein Fuß realistisch gemalt ist. Der Rest sind abstrakte Farbflächen und Linien. Es geht den beiden Künstlern also um das, was man sieht, und um das, was verhüllt ist und nur erahnt werden kann.

Elsner strahlt während er erzählt. Er hat offensichtlich viel Zeit am Strand verbracht und diese kreativ genutzt. Seine schraffierten Farbstift- und Aquarellporträts von Frauen im Bikini - mal im Gegenlicht, mal als helle Silhouette unter wohl gleißender Mittagssonne - unterscheiden sich deutlich von den dunkleren Arbeiten, die er aus Berlin mitgebracht hat.

Zur Ausstellung hat er sie im Stapel auf eine Säule gelegt und darüber einen Plexiglasdeckel gestülpt, der an Schneewittchens Sarg erinnert. Man sieht nur das obenauf liegende Bild und weiß doch, dass darunter mehr zu sehen wäre. Der Deckel hindert uns aber daran, das oberste Blatt abzunehmen. Er ist durchsichtig und verwehrt uns dennoch den Blick.

Elsner hat zudem eine ansprechende Technik, Papierbilder zu fertigen. Er beklebt eine Wand mit mehreren Schichten farbig gestrichener Papierrollen, die er dann stellenweise wieder abreißt. Vorlagen für diese Reissbilder im Werbeplakatstil sind oft Klassiker der Kunstgeschichte. In Andratx zeigt er Botticellis „Primavera".

Das Bild ist zu Anfang der Renaissance entstanden, auf ihm tummeln sich viele schöne Frauen, deren Körperkonturen zu erahnen sind. Trotz der kräftigen Farben und der groben Technik erinnert Elsners Werk an das Original. Das Spiel mit Bekanntem, das in unserem Kollektiv­gedächtnis verwahrt ist, wirk anregend. Schade nur, dass der Ausstellungsraum nicht mehr Distanz zulässt. Könnte man noch fünf Schritte zurücktreten, käme Botticelli wohl schärfer zum Vorschein.

Brungs fiel zum Begriff Muse der Modedesigner Yves Saint Laurent ein. Er hat ihn mit Christian Dior oder Karl Lagerfeld, mit Catherine Deneuve oder Bianca Jagger gemalt. Letztere hat ihn einst interviewt. In diesem Gespräch soll der Designer gesagt haben: „Ich interessiere mich nur für die Oberfläche."

In den kleinformatigen Bilder besticht auch die Oberfläche. Sie ist grundiert mit einer Mischung aus Hasenleim, Pigmenten und Kreide, darüber malt er mit stark verdünnten Ölfarben. Diese Technik verleiht den in zarten Farben gemalten Werken eine Art Schleier. Die Szenen wirken, als spielten sie sich hinter einem dünnen Vorhang ab.

Die Ausstellung strahlt Ruhe und Entspannung aus. Und sie wirkt hell. Beide Künstler genossen ihren Aufenthalt sichtlich. Als Nachbarn hatten Brungs und Elsner den kanadischen Künstler Michael Swaney und das argentinische Künstlerpaar Federico Domínguez Zacur und Leticia González. Lange Gespräche am Abend, ungestörtes Arbeiten ohne Alltagsdinge und Ablenkung, auch dafür stehen die Stipendien des CCA.

Die Ausstellung „Muse" läuft bis 14. September im CCA Andratx. Carrer Estanyera, 2, Andratx. Geöffnet Di-Fr 10.30-19 Uhr, Sa, So und feiertags 10.30-16 Uhr, Mo geschlossen. Eintritt frei. www.ccandratx.com

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