Es gibt preisgünstigere Souvenirs als die kleinen Rabbiner-Figuren für 18 Euro das Stück. Aber wenn ein Kreuzfahrtschiff aus den USA in Palma Halt macht, sind danach die Regale mit dem Töpferwerk meist leer. Viele der Passagiere sind jüdischen Glaubens. „Sie sind verrückt nach den Figuren und interessieren sich sehr für die jüdische Geschichte Palmas“, erzählt Magdalena Roig, Inhaberin der Keramikwerkstatt Es Retall in der Calle Montesión im alten jüdischen Viertel Call Major. Auch einen Souvenirladen beliefert Roig mit Rabbiner-Figuren, Davidstern-Magneten und siebenarmigen Kerzenständern.

Dass aus der jüdischen Geschichte touristisch Kapital zu schlagen ist, hat jetzt auch die Stadt verstanden. Vor wenigen Wochen beschloss der Stadtrat einstimmig, das historische Erbe der alten jüdischen Viertel verstärkt zu pflegen. In diesem Sinne wird erwogen, ein Besucherzentrum mit einer Ausstellung über die Geschichte der Juden und der xuetes (Nachkommen der zwangskonvertierten Juden) einzurichten.

Diesen Vorschlag der Öko-Nationalisten fanden alle Parteien gut, immerhin soll saisonunabhängiger Kulturtourismus mit hoher Kaufkraft angelockt werden. „Die Stigmatisierung der xuetes in Palma stellt einen weltweit einzigartigen Fall dar“, argumentiert Stadtrat Antoni Noguera.

Bis ins 20. Jahrhundert wurden die xuetes in Palma diskriminiert. Andere Städte haben steinerne Reste ihrer jüdischen Vergangenheit, Palma hat die Menschen und deren besondere Geschichte. Sie ist der Grund, warum sich viele xuetes bis heute dem Judentum nahe fühlen. Überall in Spanien wurden die Juden von der Inquisition verfolgt und zur Ablegung ihres Glaubens gezwungen, doch an keinem anderen Ort hat sich die Identität der ausgegrenzten Konvertiten so lange und so intensiv erhalten.

Die Juden der Insel wurden bereits vor dem Dekret zur Ausweisung von 1492 zur Konvertierung gezwungen. Viele blieben als Katholiken auf der Insel, ihre Nachkommen aber wurden von der Gesellschaft geschnitten. Auf dem kleinen Mallorca gab es kein Entkommen: Jeder wusste, wer ein xueta war. „Erst mit dem Tourismus hat sich das geändert. Wenn jemand aus einer xuetas-Familie erstmals einen Nicht-xueta heiratete, war der Partner oft Spanier vom Festland oder Ausländer“, sagt Alberto Bonnín (49), selbst Nachkomme von Juden und Vorsitzender des Vereins Memòria al Carrer, der sich der Erforschung der xuetes widmet. Gemeinsam mit dem Verein Arca Llegat Jueu, der sich mit Veranstaltungen und Führungen an die Geschichte der Juden und xuetes auf Mallorca erinnert, sowie der jüdischen Gemeinde der Insel bemüht sich Bonníns Gruppe seit Jahren um eine stärkere Präsenz dieses Themas. Vom Plan eines Besucherzentrums sind diese Organisationen begeistert, daher stellen sie sich als Berater zur Verfügung. Bereits bei der Aufnahme Palmas in das spanienweite Netzwerk „Red de Juderías“ im Jahr 2005 hatten sie mitgeholfen. Auch die Ausschilderung der jüdischen Viertel, die Anbringung von Täfelchen mit den alten Straßennahme, wie etwa Carrer de la Sinagoga Nova an der Carrer Pelletería (s. Foto), und die Errichtung eines Denkmals für den berühmten jüdisch-mallorquinischen Kartographen Jafuda Cresques ist auf ihre Initiative zurückzuführen.

Wie gewinnbringend die Darstellung der jüdischen Vergangenheit sein kann, zeigt ein Jüdisches Museum in Girona. Im Jahr 2010 wurden dort 85.000 Besucher gezählt, davon stammten 20.000 aus Israel und 5.000 aus den USA. „Notwendig ist aber unbedingt effiziente Werbung. Wir Juden suchen unsere Wurzeln, aber Besucher müssen erst einmal wissen, dass es in Palma den Call und die besondere Geschichte der xuetes gibt“, sagt Abraham Barchilón (61) von der jüdischen Gemeinde.

Ebenso wichtig ist es ihm und seinen Mitstreitern, das Erbe der Juden auf der Insel auch den Einheimischen zu vermitteln. „Ein Besucherzentrum würde dazu beitragen, dass die Mallorquiner ihre eigene Vergangenheit besser kennenlernen, und könnte auch von Schulen genutzt werden“, sagt Manuel Quadreny, der Vorsitzende von Arca-Llegat Jueu. Seine Mutter stammt aus einer xuetes-Familie der Calle Sol im Call Major. Der 59-Jährige getaufte, aber nicht praktizierende Katholik mag seine jüdischen Wurzeln. „Es ist etwas Mystisches, Sentimentales. Wenn ich mal eine Synagoge besuche, fühle ich mich wohl.“

Er erinnert sich noch an eine Redensart seiner Mutter: me n‘aniré a Livorno („ich hau‘ nach Livorno ab“). „Im 16. und 17. Jahrhundert zogen viele Juden in diese italienische Stadt, weil sie dort ihre Religion frei ausüben konnten“, erklärt Bonnín. Auch der Ausdruck fer dissabte (wörtlich: „Samstag machen“ für Wohnung putzen) habe seinen Ursprung in der Diskriminierung der Xuetas. „Zwangskonvertierte öffneten am Samstag weit die Fenster, damit die Nachbarn sahen, dass sie sauber machten und somit nicht den Sabbat einhielten“, sagt Bonnín.

Bis vor 50 oder 60 Jahren sollen noch etwa 90 Prozent der xuetes innerhalb der wenigen Straßenzüge des (früher sogar ummauerten) Call Major und Call Menor in Palmas Altstadt gewohnt haben. Gebäude der mittelalterlichen Viertel gibt es keine mehr. Nur der alte Straßenverlauf ist erhalten geblieben und an der Kirche Montesión sollen an der Seitenwand zur Calle Vent noch ein paar Quader in Bodennähe von der alten Synagoge stammen, die vorher dort stand. Dafür aber sind viele Geschäfte, vor allem Juweliere, in der Calle Argenteria (auch Plateria genannt), der Zentralachse des Call Menor, bis heute in der Hand von xuetes. Davon zeugen die Nachnamen der Inhaber wie Pinya oder Fuster.

Jeweils einmal im Monat wird am Freitag um 10.30 Uhr eine Führung durch die jüdischen Viertel Palmas auf Deutsch und auf Spanisch angeboten. Treffpunkt Olivenbaum am Rathaus. Anmeldung/Information: Tel. 971-72 07 20 oder 636-43 00 00.