Es ist dieses Authentische, leicht Moderige, aber dennoch Erhabene, das einen gefangen nimmt, wenn man das Café Lírico in Palma betritt. Bereits auf den ersten Blick ist klar: Dies könnte ein Ort für Künstler sein. Und tatsächlich: Der Star-Maler Miquel Barceló ist hier, wo an der Plaça de la Reina der Prachtboulevard Borne beginnt, Stammgast, auch die Sängerin María del Mar Bonet. Und einst, so erzählt der Wirt, sei hier sogar Jorge Luis Borges ein- und ausgegangen. Der argentinische Schriftsteller, verbrachte das Jahr 1919 als junger Mann auf Mallorca.

Damals befand sich gegenüber noch das 1965 abgerissene und namensgebende Teatro Lírico. Zwar ist das Café Lírico längst nicht so gediegen wie das Café Gijón in Madrid oder das Café Tortoni in Buenos Aires, aber es ist wie diese beiden eine historische und kulturelle Institution. Und es ist, eigenen Aussagen zufolge, das mit 120 Jahren älteste unverändert an einem Ort befindlichen Lokal in Palma.

Die Frage ist, wie lange es diesen Intellektuellen-Pol noch geben wird. Der Besitzer der Immobilie - die Familie Manera Terrades - will dem Betreiber Antonio Mas nach Ablauf des noch geltenden Vertrags 2017 die Miete fast vervierfachen. „11.000 Euro will man monatlich haben, rund 3.000 zahlen wir jetzt", erzählt der 54-jährige Wirt, der das Etablissement mit dem speziellen Flair mit vier Mitarbeitern schmeißt. Die miteinander verwandten Familien Ferrer und Mas betreiben das Café Lírico seit 80 Jahren und mittlerweile in der dritten Generation, und so bedroht wie jetzt habe er sich noch nie gefühlt, sagt Antonio Mas. „Diese Entwicklung hat mit der rasanten Erhöhung der Mieten am Borne zu tun, wo Firmen wie Louis Vuitton 20.000 Euro monatlich für einen Laden hinlegen."

Wobei in Palma nicht alles, was alt ist, vom Untergang bedroht ist: Die 1936 eröffnete Bar Bosch am anderen Ende des Borne ist fast permanent voll und plant sogar eine Erweiterung (MZ berichtete), und auch die versteckter liegenden Traditionslokale Can Joan de S´Aigo sind keineswegs von der Schließung bedroht.

Putz fällt von den Wänden

Das Café Lírico hingegen dämmert dahin, und das trotz eines vergleichbar guten Preis-Leistungsverhältnisses (der Eis-Café kostet 1,75 Euro, die Cola an der Bar 2 Euro). An mehreren Stellen fällt der Putz von den Wänden, in Toilettennähe hängen statt einer Lampe nackte Kabel von der Decke herab. Im Endzeit-Gefühl sichtlich gefangen, bemüht sich Antonio Mas immerhin, nicht vollständig in Lethargie zu versinken: Zuweilen organisiert er zwischen 20 und 22 Uhr Mini-Konzerte mit klassischer Musik,. Und auch an „Microteatro"-Aufführungen mit zwei oder drei Personen hat er schon gedacht. Ob man nicht mit einem finanzstarken Partner wie der Champagner-Firma Moët & Chandon, die schon andere Traditionslokale in Europa stilgerecht aufpeppte, wieder durchstarten wolle? Auch das könne durchaus eine Idee sein, sagt Antonio Mas.

Doch die drohende Mieterhöhung scheint ihn eher zu lähmen. Dafür kommt er ins Lamentieren: Das Schicksal des Café Lírico sei den Lokal-Politikern weitgehend gleichgültig. „Wir haben schriftliche Anerkennungen und Auszeichnungen, etwa vom ´Feinschmecker´ aus Deutschland", so der Wirt. „Hier auf der Insel aber hat sich in all den 120 Jahren kein einziger Politiker für unser Wirken bedankt." Und in einem Katalog der Handelskammer mit Traditionsunternehmen sei das Café Lírico „einfach vergessen" worden. Dabei sei man nie angeeckt und habe sich „nie politisch oder sportlich positioniert" : „Hier sind Vertreter von Schwulenverbänden genauso willkommen wie Mitglieder unterschiedlicher Parteien oder Fußball-Clubs - was diese auch wissen."

Mehr Gewinn in Peseten-Zeiten

Auch das veränderte Konsumverhalten der Gäste treibt Antonio Mas um. „Als wir noch die Pesete hatten, gaben gerade Ausländer viel mehr in Cafés wie dem unseren aus." Die Menschen „hatten das Gefühl, in Spanien sei alles billiger". Mit der Einheitswährung Euro, die Vergleiche überall in Europa ermöglicht, habe sich das grundlegend in Richtung Geiz geändert. „Wir machen seit der Euro-Einführung weniger Gewinn."

Ohnehin sind die Verdienstmargen überschaubar im Lírico. In Ermangelung einer Küche können nur kleine Gerichte zubereitet werden. „Wir schenken hier in erster Linie Getränke aus." Dass hier irgendwann die x-te Filiale von irgend einer Fastfood-Kette stehen könnte, beutelt Antonio Mas zusätzlich, zumal direkt nebenan, wo sich nunmehr eine Parfümerie befindet, seinen Angaben zufolge in den 70ern das erste Schnellrestaurant Palmas eingerichtet worden war, ein „Wimpy".

„Wir wollen nicht so enden wie die Confitería Can Frasquet," sagt Antonio Mas. Die Traditions-Konditorei in der Nähe der Avenidas war seit 1890 von der Familie Casasayas betrieben worden und ist kürzlich geschlossen worden. Die neuen Betreiber wollen darin eine Bar einrichten.