Es ist schwer vorstellbar, eine Kindheit zu haben, die süßer und naschhafter ist als die von Leonor Vich Martorell. Sie wurde 1961 als Enkelin von Antonio Martorell geboren, jenem Chocolatier, der die womöglich „älteste Eisdiele Europas" führte: das Can Joan de s'Aigo am Carrer de Can Sanç, zwischen der Plaça Major und der Plaça Santa Eulàlia in Palma. Hier gehen täglich rund 1.000 Kunden ein und aus. Leonor Vich ist gelernte Chemikerin, praktizierende Musiklehrerin und eine der Geschäftsführerinnen dieses Klassikers. Während andere Traditions­lokale im Zentrum Palmas schließen, will das Can Joan de s'Aigo im Januar sogar expandieren. Schräg gegenüber vom Corte Inglés der Avenidas, in der ehemaligen Bar Triquet und in einem denkmalgeschützten Gebäude von Gaspar Bennàssar, soll eine dritte Filiale eröffnen.

Frau Vich, Sie sind die Enkelin des berühmtesten Chocolatiers von Palma. Hat Sie das geprägt?

Vor allem äußerlich, das sieht man doch (lacht). Scherz beiseite. Natürlich prägt einen das, allein schon all die Heiligabende, in denen sich das Lokal füllte, weil man nach mallorquinischer Weihnachtstradition nach der Christmette eine heiße Schokolade zu sich nimmt. Wir Enkel halfen, die Löffelchen zu spülen und zu trocknen. Aber ansonsten sprachen wir nicht viel über das Geschäft, es war Sache meiner Großeltern.

Das Can Joan de s'Aigo wurde im Jahr 1700 gegründet. Erzählen Sie uns doch noch mal die Geschichte.

Ein Schneeschieber namens Joan lagerte Schnee in den Bergen und stellte Träger aus Selva und Caimari an, um das Eis nach Palma zu schaffen. Dort verkaufte er es als Getränk, aber auch als Heilmittel. Es scheint, dass die sogenannte Kleine Eiszeit sein Geschäft begünstigte. Viel mehr ist von diesem Joan de s'Aigo ('Joan, der mit dem Wasser', Anm.d.Red.) nicht bekannt, später übernahm das Geschäft ein weiterer Eismacher, Mateu Jaume, und irgendwann ging es über an meinen Großvater Antoni Martorell. Er war ein sehr entscheidungsfreudiger und arbeitsamer Mann. Als er starb, übernahm sein Sohn Juan. Er war es, der sich am meisten um die Eisdiele kümmerte, mehr als seine zwei Brüder und seine Schwester, also meine Mutter. 2011 starb er. Nun stemmen wir acht Cousins und Cousinen den Laden.

In Zeiten der Ladenschließungen und der großen Ketten und Konzerne - wie schafft es das Can Joan de s'Aigo, mitzuhalten und sogar ein neues Lokal zu eröffnen?

Indem wir weiterhin auf Qualität setzen und nicht mit den Zutaten geizen. Es gibt kein Geheimnis. Das Beste, das wir haben, sind unsere Kunden. Sie schätzen das Ambiente von Eisdielen, die noch wie Salons eingerichtet sind und in denen man sich mit den Freunden und der Familie wohlfühlt. Mein Großvater sagte immer: Wenn ein Kind sich hier hineinverirrt, um nach einem Glas Wasser zu fragen, dann ist das ein gutes Zeichen.

Bis heute sind Ihre Preise erschwinglich. Das ist auf dieser Insel der Reichen ungewöhnlich.

Wir können die Preise nicht ­anziehen, denn es kommen viele Familien und Gruppen.

Wie erleben Sie die Schließung von Lokalen wie der Bar Cristal oder des Can Frasquet?

Es macht mich traurig. Wenn ein Geschäft schließt, das von unserer Geschichte erzählt, dann ist das ein Verlust für uns alle. Palma verliert einen Teil seines Charakters. Die Stadt ist gewachsen, hat sich verändert. Aber ich glaube, es ist genug Platz für alle da, auch für die großen Handelsketten. Und ich möchte glauben, dass diese Etappe der Schließungen emblematischer Lokale vorübergeht. Ich will optimistisch sein.

Viele sind nicht mehr übrig. Sie aber schließen nicht, sondern eröffnen eine weitere Filiale. Warum auf den Avenidas?

Die Kunden verlangten das. Einige kommen von außerhalb und haben Schwierigkeiten, einen Parkplatz zu finden. Außerdem dehnt sich das ­Zentrum in Richtung Avenidas aus. In Canamunt und Canavall (der Ober- und Unterstadt, Anm.d.Red.) sind wir ja schon präsent. Es war uns wichtig, in der Nähe der Plaça d'Espanya zu sein, am Platz selbst aber können wir bei den Mietpreisen mit den großen Konzernen nicht mithalten.

Haben Sie versucht, die Bar Cristal zu übernehmen?

Nein, man sagte uns, dass die Miete sehr hoch sei. Die Räumlichkeiten der anderen beiden Filialen gehören uns, das neue Lokal wird das erste sein, in dem wir Miete zahlen müssen.

Es ist ein Gebäude von Gaspar Bennàssar, eines bekannten Architekten. Wie wird Sie das beeinflussen?

Es schränkt uns insofern ein, dass es ein denkmalgeschütztes Gebäude ist und viele Genehmigungen einzuholen sind. Wir hoffen, im Januar 2018 eröffnen zu können. Was die Ästhetik betrifft, unterscheiden sich die beiden bestehenden Filialen ja durchaus. Als mein Onkel 1990 die Niederlassung im Carrer Baró de Santa Maria del Sepulcre eröffnete, wollte er keine Kopie der anderen Filiale. Neben den Gemeinsamkeiten wie der Holzdekoration und den Marmortischen gibt es das Rot und Schwarz als Erkennungszeichen. Das dritte Can Joan de s'Aigo wird einen ähnlichen Flair haben, im Stil eines Wiener Cafés, allerdings mit niedrigeren Decken.

Ist das Can Joan de s'Aigo eigentlich ein Bollwerk des mallorquinischen Geschmacks?

Ich glaube schon , denn wir sind sehr klassisch aufgestellt. Wir verkaufen immer noch die gleichen Eissorten: Mandel, Schokolade, Aprikose ?

Schaden Ihnen die vielen italienischen Eisdielen nicht, die sich im Zentrum angesiedelt haben?

Hier ist Platz für alle. Wenn wir seit 300 Jahren bestehen konnten, dann, weil den Mallorquinern unser Laden gefällt.

Haben auch Sie unter dem großen Urlauber­andrang in diesem Sommer gestöhnt?

Ehrlich gesagt, nein. Viele unserer Kunden sind Einheimische. Und unter den Touristen kommen sowohl die Ausländer, die nach etwas Historischem suchen, als auch die Festlandspanier, denen wir empfohlen wurden und die eine Ensaimada essen wollen.

Oder ein „cuarto", ein dem Biskuit ähnlicher mallorquinischer Kuchen mit Kartoffelstärke.

Oh ja! Das ist wie mit Madrid und Barça. Entweder bist du Fan der Ensaimada oder des cuarto.

Auf welcher Seite stehen Sie?

Für mich bitte eine Ensaimada, ich kann es einfach nicht lassen.