Kann mir bitte mal jemand sagen, zu welchem Zeitpunkt einfaches, schlichtes Essen Rock?´n´?Roll wurde und sterbliche Köche zu globalen Superstars mutierten, an deren Lippen ein weltweites Publikum hängt? Wie konnte das passieren?

Es ist kein Geheimnis, dass mich andere Köche und Leute faszinieren, die sich entschieden haben, ihr Leben ganz und gar dem Kochen zu widmen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass wir eine gemeinsame Verbindung teilen. Wir haben alle nicht enden wollende geteilte 16-Stunden-Schichten in heißen, stickigen und klaustrophobisch engen Küchen durchlitten und Tabletts voller Rotbarben entgrätet, bis die Finger bluteten.

Wenn man den Tatsachen ins Auge blickt, dann ist Kochen mit gastronomischem Anspruch eine harte, zermürbende Arbeit. So ist es kein Wunder, dass sich schnell ein tiefes Gemeinschaftsgefühl einstellt, während man sich als Team mit einer geronnenen Sauce hollandaise herumquält oder der Frage, ob der Ravioli-Füllung noch Szechuan-Pfeffer fehlt oder nicht. Wir müssen daran glauben, dass dies alles von Bedeutung ist. Dass das Kochen ein machtvolles Instrument ist, mit dem man Dinge verändern kann. Dass unser ganzes Leiden hilft, Ungläubige davon zu überzeugen, sich sozial zu engagieren und sich einer gerechten und nachhaltigen Essenskultur bewusst zu werden - oder nicht?

Zuhause ein Rockstar-Koch werden? Diesen Salat zubereiten!

Die Dinge spitzten sich weiter zu, als vor ein paar Jahren die ­sogenannte G9-Gruppe von Chefköchen die Erklärung von Lima mit dem Untertitel „Offener Brief an die Köche von morgen" verfasste. Die Erklärung startet mit dem Statement: „In Zeiten, in denen die Gesellschaft sich zusehends verändert, muss unser Berufsstand aktiv auf die neuen Herausforderungen reagieren. Der Beruf des Kochs bietet heutzutage vielfältige Möglichkeiten und Ausdrucksformen. Wir Köche sind vereint durch unsere Leidenschaft für das Kochen und durch den Glauben daran, dass unser Beruf darüber hinaus auch eine Lebensform ist. Das Kochen bietet uns die Möglichkeit, uns frei zu entfalten, unsere Interessen zu verfolgen und unsere Träume zu verwirklichen."

Die Erklärung unterstreicht, dass „unsere Arbeit von den Geschenken der Natur abhängt. Deswegen müssen wir dafür Sorge tragen, die Natur zu beschützen, und unsere Stimme dafür nutzen, um vom Aussterben bedrohte Arten und Sorten zu erhalten und neue zu fördern. So können wir dabei helfen, die Biodiversität zu bewahren und uns gleichzeitig dafür einsetzen, dass Geschmacksrichtungen und kulinarische Kreationen erhalten und neue geschaffen werden".

Weiter: „Wir üben einen Beruf aus, der die Macht hat, die wirtschaftliche und soziale Entwicklung anderer Menschen zu beeinflussen. Wir können einen großen wirtschaftlichen Einfluss haben, indem wir den Export unserer kulinarischen Kultur fördern und das Interesse anderer an ihr wecken. Gleichzeitig können wir durch die Zusammenarbeit mit lokalen Produzenten und durch die Anwendung fairer wirtschaftlicher Praktiken einen nachhaltigen regionalen Wohlstand erwirtschaften und die Kommunen finanziell stärken."

Ohne Zweifel sind das ehrenwerte Ansinnen. Allerdings beschleicht mich bei der ganzen Sache das Gefühl, dass wir uns hier ein bisschen zu wichtig nehmen. Nur weil ich Koch bin, macht mich das doch noch lange nicht zu einem Beauftragten für sozialen Wandel, oder? Können wir uns nicht alle ein bisschen entspannen, die einfachen Freuden des Kochens genießen und das mit den besten und einfachsten Zutaten, die wir finden können? Hoffentlich unter Berücksichtigung der heiligen Dreifaltigkeit von „lokal, saisonal und biologisch", aber falls nicht, ist das auch nicht das Ende der Welt. Es ist nicht Rock?´n´?Roll und wird mit ziemlicher Sicherheit auch nicht die Welt verändern. Es ist einfach gutes Essen und das ist großartig!