Letzte Woche wurden die Michelin-­Kritiker bei ihrem jährlichen Besuch auf Mallorca gesichtet - es dürfte also ein paar Küchenchefs auf der Insel geben, die voller Spannung darauf warten, dass im November endlich der neue Guide Michelin rauskommt.

Einige der Inspektoren werden wohl anonym vorbeischauen, andere werden sich nach dem Zahlen der Rechnung zu erkennen geben, um dem Küchenchef noch ein paar Fragen zu stellen. Wir Küchenchefs und die Kritiker von Michelin spielen jedes Jahr ein kleines Versteckspiel miteinander: Sie versuchen, uns mit ihrem Besuch zu überraschen, und wir versuchen zu erraten, wann sie kommen. Auf Mallorca läuft das folgendermaßen ab: Sobald ein Küchenchef Wind von dem Besuch eines Kritikers bekommen hat, hängt er sich ans Telefon, um andere Köche, denen in den nächsten Tagen auch ein Besuch ins Haus stehen könnte, zu warnen.

„Le Guide Rouge", der Restaurantführer von Michelin, wurde im Jahr 1900 von den Brüdern Michelin gegründet, um in Frankreich Auto-Reisen populär zu machen - und so natürlich den Reifen-Verkauf anzukurbeln. Mit den Jahren wurde dieser Gastro-­Führer die Referenz für „feine Küche" in ganz Europa, und sogar weltweit. Da der Guide Michelin als Auto-­Reiseführer rausgegeben wurde, werden seine Sterne nicht nur mit der Qualität in Zusammenhang gebracht, sondern auch damit, ob sich die Fahrt lohnt: Drei Sterne bedeutet, dass das Restaurant einen extra Ausflug dorthin verdient, zwei Sterne heißt, dass das Restaurant einen Umweg oder Abstecher wert ist, und bei Restaurants mit einem Stern sollten Sie anhalten, wenn sie auf Ihrer Route liegen. Bekommt man einen, oder auch mehrere, kann man zur Legende werden - der Verlust bricht einem im besten Fall das Herz oder führt im schlimmsten Fall zum Selbstmord.

Die Kritiker bewerten die Res­taurants nach Kriterien, die nicht veröffentlicht werden. Welche das sind, wissen nur die Michelin-­Testesser genau. Allgemein wird gesagt, dass der erste Stern vor allem nach der Qualität des Essens in dem entsprechenden Lokal vergeben wird, die zusätzlichen Sterne werden dann schrittweise zunehmend für Servicequalität, Dekoration des Speiseraums, Besteck und Geschirr, Kosten der Zutaten, eine größere Auswahl an Käse und die Größe und Qualität des Weinkellers verliehen.

Einfach ausgedrückt: Zusätzliche Sterne verursachen mehr Betriebskosten, die vielleicht nicht durch zusätzliche Einnahmen kompensiert

werden. Für einen zweiten oder dritten Stern sind erhebliche Investitionen nötig. Deshalb müssen sich die meisten entscheiden, ob sie in der Sicherheit eines Sternes verweilen, oder ob sie das Risiko auf sich nehmen und versuchen, den nächsten Stern zu erringen.

Ich weiß genau, wie schwer es ist, einen zu gewinnen, und wie viel Aufwand und Hingabe es bedeutet, ihn zu behalten*. Natürlich ist so ein Stern für einen Küchenchef eine große Ehre, aber wir sollten davon nicht besessen sein.

Ich bin fest davon überzeugt, dass sich heutzutage viele Restaurants und Küchenchefs zu ernst nehmen und dass wir alle lernen sollten, uns ein wenig zu entspannen und es einfach zu genießen, gutes, einfaches Essen zu kochen.

Denn das ist gar nicht so leicht, wie es sich anhört. Ich kann Rezepte mit einfach nachzukochenden Anleitungen herausgeben und mir den Mund darüber fusselig reden, wie man gute Zutaten bekommt, aber trotzdem ist da ein natürlicher Widerspruch zwischen einem Rezept, einem kalten Dokument, und einer lebendigen Person, die das Rezept zum Leben erwecken wird. Ein Rezept hat keine Seele. Man kann unendlich viele Kochbücher von den besten Küchenchefs der Welt kaufen, aber das verbessert die eigenen Fähigkeiten nicht zwangsläufig.

Sie als Koch müssen dem Rezept eine Seele geben, nur dann wird es lebendig und fängt an zu singen. Ich kann Ihnen die Techniken beibringen - wie man einen Fisch filetiert, wie man eine Dessertcreme macht, wie man ein Ei brät -, aber wenn Sie nicht mit Leidenschaft bei der Sache sind und bloß den Instruktionen folgen, werden Sie wahrscheinlich enttäuscht sein. Und niemals einen Michelin-Stern gewinnen.

* Marc Fosh hatte als Küchenchef des Read´s in Santa Maria von 2002 bis 2009 einen Michelin-Stern.

Das Rezept: Geschmorte Rinderbäckchen mit geräuchertem Speck-Parmentier und Erbsen-Trüffel-Sauce