In beiden Restaurants, dem Simply Fosh und der Misa Braseria, stellen wir gerade unsere Speisekarten um. Dabei konzentrieren sich unsere Köche vor allem auf saisonale Zutaten sowie eine ideale Balance der Aromen und Texturen. Und natürlich versuchen wir uns stets an der schwierigen Aufgabe, etwas Neues zu finden, das wir anbieten können.

Brillat-Savarin, der berühmte französische Gastronom aus dem 19. Jahrhundert, schrieb: „Die Entdeckung eines neuen Gerichts trägt mehr zum Glück der Menschen bei als die Entdeckung eines neuen Sterns." Obwohl ich mit diesem etwas zu häufig zitierten Ausspruch übereinstimme, bin ich doch versucht, „Gericht" durch „Zutat" zu ersetzen. Denn mir persönlich liefern vor allem neue oder lange vergessene Zutaten Ideen für den kulinarischen Schaffensprozess.

Auch wenn es mich sehr inspiriert und mir nahezu einen Kick verleiht, auf dem Markt all die Produkte zum Zeitpunkt ihrer idealen Frische zu sehen - erst wenn ich etwas Ungewöhnliches oder mir Neues ent­decke, dann werde ich wirklich kreativ.

In den vergangenen Jahren hat sich meine Art, Gerichte zu kreieren, verändert. Mittlerweile spiele ich in einem ersten Schritt im Geiste mit Geschmackskombinationen, ohne genau zu wissen, wohin das führt: beispielsweise Aloe Vera, Zitronengras, Erbsen und Kabeljau - heraus kam in diesem Fall das unten stehende Rezept. Statt also mit der Hauptzutat wie Seebrasse oder Rinderfilet anzufangen, starte ich mit Aromen wie Kardamom, Pollen, Aloe Vera oder Tonkabohnen und arbeite mit diesen - in der Hoffnung, dass mich das zu einem neuen Gericht führt.

Auch darüber nachzudenken, welche tollen Gerichte ich über die Jahre in einigen der weltbesten Restaurants genossen habe, inspiriert mich: wunderbare Erfindungen wie beispielsweise der ganze, in Kleie und Verveine (Eisenkraut) gebackene Atlantik-Hummer im „La Maison de Marc Veyrat", das hervorragende Amuse-Bouche aus einem Lachsmousse-Hörnchen mit Creme fraîche in Thomas Kellers „Per se" in New York, das unglaubliche Schokoladen-Fondant mit sehr flüssiger Mitte und einer Kugel Kardamom-Eiscreme im „Michel Bras" und Ferran Adriàs („El Bulli") mundgerechte Tintenfisch-Ravioli, die im Mund vor lauter Kokos- und Ingwergeschmack nur so explodieren.

Ich hatte das Glück, das „El Bulli" zweimal zu besuchen, als es noch geöffnet war, und war überwältigt von der Köstlichkeit und dem Erfindungsreichtum der Gerichte. Ferran Adrià ist vielleicht der kreativste Küchenchef auf dem Planeten - viele Köche scheitern ja schon daran, in ihrem ganzen Leben auch nur ein eigenes originelles Gericht zu kreieren. Selbst „Schaum" oder „Luft" werden aus Adriàs Händen zu atemberaubenden Geschmackserlebnissen. Viele andere armen Seelen versuchen verzweifelt, ihn zu kopieren - dabei sollten sie ihre Zeit lieber dafür verwenden, das Kochen leckerer Speisen zu erlernen, die ihre eigene Persönlichkeit ausdrücken.

Was ganz allgemein die Frage aufwirft: Haben Köche das Recht, Gerichte anderer zu kopieren und als ihre eigenen auszugeben? Die Antwort darauf ist nicht einfach. Ich weiß, dass alle Köche Elstern sind und Ideen und Inspirationen von anderen klauen, besonders von ihren Vorbildern. Ich weiß auch, dass es unmöglich ist, das Rad neu zu erfinden und wirklich einzigartig zu sein. Trotzdem finde ich es ein wenig traurig, dass einige Köche lieber nachmachen, statt ihren eigenen originellen Stil zu kreieren. Und ich finde, dass wir Köche die Pflicht haben, Letzteres zumindest zu versuchen.

All das führt zu einer Debatte über kulinarische Einflüsse und darüber, wann Inspiration Imitation wird, und ob es bei Köchen wie in anderen Künsten „geistiges Eigentum" gibt. Sie sehen, für mich geht der Kreation eines neuen Gerichts ein intensiver Gedankenprozess voran. Manchmal geht es ganz schnell, ab und zu ist es eine lange und mühselige Herausforderung, mit Aromen und Zutaten herumzuprobieren, bis man die richtige Mischung findet und einen die Muse küsst. In Wahrheit nehmen wir das wahrscheinlich viel zu ernst, aber wie Escoffier so schön sagte: „ Gutes Essen ist die Grundlage wirklichen Glücks". Und wer bin ich, dem großen Meister zu widersprechen?

Das Rezept: Stockfisch mit Aloe-Vera-Gelee und einer leichten Erbsen-Zitronengras-Suppe