Ich lese gerade zwei Bücher, in denen jeweils sehr verschiedene Ansichten zu der Debatte rund um organische/biologische Ernährung vertreten werden. Das eine lobt die Vorteile, sich für Bio-Lebensmittel zu entscheiden, die nicht aus Massen­produktion stammen, sondern ökologisch - also ohne den Einsatz von synthetischen Pestiziden und Düngemitteln - angebaut werden. Denn nachhaltige Biolandwirtschaft ohne die regelmäßige Gabe von Antibiotika und wachstumsfördernden Medikamenten schützt und erhält unser wertvollstes Kapital - den Boden. Das erscheint mir richtig, und ich glaube jedes Wort davon.

Dann lese ich ein anderes Buch, welches die These vertritt, dass das Geschäft mit Bioprodukten, das Milliarden an Umsatz generiert, zum größten Teil ein riesiger Schwindel ist - das willige Opfer ist die wohlhabende Mittelklasse, die den Kauf von teuren Bioprodukten als trendigen Lifestyle betrachtet. Deutschland ist heute der größte Verbraucher von Bio-Lebensmitteln nach den USA. Ich muss zugeben, dass Jay Rayners Buch „A Greedy Man in a Hungry World: why (almost) everything you thought you knew about food is wrong" mich dazu gebracht hat, dass ich nun ganz anders über dieses Thema denke. Und dass sein Argument, dass „bio" heute eigentlich nur noch ein Marketing­label für neurotische Reiche sei, ein sehr überzeugendes ist.

Er legt dar, dass es drei Hauptgründe dafür gibt, Bio-Lebensmittel zu kaufen. Der erste Grund ist die löbliche Sorge um die Umwelt. Aber auch, wenn ein Bioapfel an einem glücklichen, pestizidfreien Baum gewachsen ist: Was ist mit dem Treibstoff, der verbraucht wurde, um diesen Apfel nach Europa zu transportieren, falls er beispielsweise wie viele Äpfel aus Neuseeland kommt? In unseren Supermärkten gibt es Biobananen aus der Dominikanischen Republik, Mangos aus Brasilien, Süßkartoffeln aus den USA und Birnen aus Italien. Was glauben Sie, wie die hierher gekommen sind? Und dann ist da noch die Verpackung. Biochips werden nicht zwangsläufig in biologisch abbaubaren, plastik­freien Verpackungen verkauft. Und so weiter und so fort.

Jay Rayner argumentiert, dass es in der Debatte um Lebensmitteltransportwege und den CO2-Fußabdruck um viel mehr geht, als nur darum, wie weit weg unser Essen produziert wird. Es geht um den CO2-Verbrauch im gesamten Herstellungsprozess. Es geht um ­Wasserverbrauch, Landschaftspflege und den umsichtigen Einsatz von Wissenschaft.

Der zweite Grund für Bio-Produkte ist der gefühlte Nutzen für die Gesundheit. Auch das sei ein Mythos, behauptet er, denn wie die britische Food Standards Agency in ihrem letzten Report herausgefunden hat, sind Bio-Lebensmittel weder gesünder noch enthalten sie mehr Nährstoffe als herkömmlich erzeugte.

Das dritte und überzeugendste Argument für den Kauf von ökologisch produzierten Lebensmitteln ist die Qualität des Produkts. Hier legt Rayners Buch dar, dass viel von dem, was an Bio-Produkten auf dem Markt ist, von so schlechter Qualität ist, dass man kaum einen Top-Koch findet, der zu 100 Prozent Bio-Produkte verwendet. „Denn diese Köche wissen, das bio nicht immer am besten ist", sagt er.

Ich muss zugeben, dass ich ziemlich verwirrt bin, was die Diskussion um biologischen Anbau betrifft, und dass ich sicher nicht die Ansicht vertrete, dass Bio nie besser ist. Aufgrund meiner Leidenschaft für Essen werde ich immer gewillt sein, Geld für qualitativ hochwertige Zutaten auszugeben, auch weil ich es mir leisten kann. Ich finde Massenproduktion in der Landwirtschaft - beispielsweise Massenhaltung von Hühnern - abstoßend und werde deshalb immer Hühner aus Freilandhaltung verwenden. Aber ich verstehe, dass man mit Biohühnern aus nachhaltiger Freilandhaltung nicht die wachsende Weltbevölkerung ernähren kann. Und wann immer ich lokale Bio­produzenten gefunden habe, konnten diese kaum die Nachfrage allein unserer Restaurants decken.

2050 werden auf der Welt neun Milliarden Menschen zu ernähren sein, und wir werden Nahrungsmittel im großen Umfang produzieren müssen, um deren Bedarf nachzukommen. In den 70er Jahren verspeisten die Menschen in China im Jahr rund zehn Kilo Fleisch pro Kopf - 2010 hatte sich das mehr als vervierfacht, auf 45 Kilo pro Person und Jahr, mit steigender Tendenz. Das Gleiche trifft auf andere wachsende und wirtschaftlich erstarkende Länder wie beispielsweise Brasilien und Indien zu. In Europa erzeugen wir nur 56 Prozent unserer verwendeten Lebensmittel selbst: Fast die Hälfte von allem, was wir essen, wird importiert. Aber es wird immer mehr Wettbewerb um importierte Lebensmittel geben. Wenn wir also nicht mehr für unser Essen bezahlen wollen, werden die Lebensmittel-­Erzeuger ihre Produkte nach China, Indien oder Brasilien statt nach Europa verkaufen.

Laut den Vereinten Nationen müssen wir 2030 rund 50 Prozent mehr Lebensmittel als heute produzieren. Und ein System, das auf die heilige Dreifaltigkeit von „lokal, saisonal und biologisch" aufgebaut ist, wird da nicht funktionieren. Der Schlüssel ist, auf nachhaltige Produktion zu setzen. Ist also der Bio-Boom nur ein riesiger Werbetrick, um die obere Mittelschicht zu ködern? Und sollten wir tatsächlich für diese Lebensmittel so viel Aufschlag bezahlen? Was denken Sie?

Das Rezept: Safran-Fisch mit knuspriger Kartoffel-Kruste