Es ist kurios, wie sich die Ablehnung oder Akzeptanz der Verbraucher entwickelt. Der kollektive Geschmack ist anfällig für Veränderungen. Die eher hässliche Seegurke, die man beim Tauchen als großen dunklen Wurm auf dem Meeresboden liegen sieht, wirkt - zugegebenermaßen - auf den ersten Blick nicht wirklich appetit­anregend. Aber ohne Zweifel birgt dieses ungewöhnliche Wesen in seinem Inneren eine Köstlichkeit, die speziell in der gehobenen Küche mehr und mehr Anerkennung findet. Es gibt circa 1.000 verschiedene Arten, wobei sich die Gastronomie vor allem auf die Stichopus regalis, die bis zu 30 cm große Königs-Seegurke konzentriert. Auf dem Markt wird sie auch als ­cohombro de mar oder als espardenya angeboten.

Früher wurde die Seegurke einzig von den Fischern geschätzt, die sie in ihren Reisgerichten verwendeten. In jüngster Zeit aber ist die Nachfrage und somit auch der Preis sprunghaft gestiegen. Bei ausgesuchten Fischhändlern oder auf dem Mercat de l´Olivar kostet aktuell ein Kilo bereits gesäuberte ­espardenya zwischen 70 und 90 Euro. Ein Grund für den hohen Preis ist die aufwendige Fang­methode: Man muss die Tiere vom Meeresboden aufsammeln, und sie sind recht selten. Zudem ist der nutzbare Teil nach dem Enthäuten relativ gering. In Asien ist das anders. Dort wird die komplette Seegurke verspeist - nicht zuletzt weil sie sehr protein- und nährstoffreich ist und bei ­Arthritis, Gelenkschmerzen und Bronchitis helfen soll. Man nennt die Seegurke dort auch das „Ginseng des Meers".

Die espardenya ist eines meiner maritimen Lieblingsgerichte im Jardín. Sie gehört zur Familie der Stachelhäuter, hat aber keine explizite Stacheln, sondern nur Stachelansätze - quasi ein nackter Seeigel mit rauer, kalkhaltiger Haut. Das Innere hingegen ist weich und faserig, von der Textur her dem Fleisch der Navajas-­Muscheln (Rasiermesser-­Muscheln) ähnlich. Das ist auch der Teil, den wir verzehren, speziell die fünf Längsmuskeln. Wenn man die Seegurke öffnet, ähnelt der Muskelstrang mit seinen Rillen ein wenig der Sohle eines Espardenya-Schuhs - daher auch ihr katalanischer Name.

Anders als die mit ihr verwandten Seesterne ist die See­gurke zylindrisch und länglich. Das wiederum hat auch zu anderen, sexuell anmutenden Namen geführt. So nennt man sie im andalusischen Cádiz auch carajo de mar oder auf den Balearen pardal de moro (volkstümliche Bezeichnungen für „Penis"). Letztlich ist sie ein einfaches, hirnloses Tier, das aber einen ausgefeilten Verteidigungsmechanismus besitzt. Wenn Seegurken angegriffen werden, stülpen sie einen Teil ihrer Eingeweide aus. Ihre Feinde begnügen sich dann meist damit, und die Seegurke kann diese Körperteile regenerieren. Die espardenyes leben auf Sandböden und ernähren sich von Plankton und anderen Mikro­organismen, die sie mit ihren sternförmig angeordneten kurzen Tentakeln vor ihre Mundöffnung schieben und dann einsaugen. Daher kommt übrigens ein anderer lustiger Spitzname: chupadedos (Fingerlutscher).

Im Restaurant Jardín verwenden wir dieses Produkt schon seit Jahren in den verschiedensten Varianten. Je nach Jahreszeit kombinieren wir die Seegurke mit unterschiedlichen Zutaten, vor allem mit Gemüse. So servieren wir die Seegurke im Sommer als Vor­speise gemeinsam mit dem typisch mallorquinischen Trampó-Salat aus Tomaten, Zwiebeln und grünen Paprikaschoten.

Für eine ganz besondere Präsentation nutzen wir eine zwar einfache, aber effektvolle Technik, bei der das Resultat uns immer wieder begeistert: Wir schneiden die Seegurken à la julienne in dünne Streifen und braten sie bei starker Hitze mit ein wenig Olivenöl an. So gehen die Streifen ein wenig auf wie Popcorn. Im Frühjahr wird unser „Popcorn aus dem Meer" mit grünen Kichererbsen und einem Tintenfisch-Fond kombiniert oder auch mit jungen frischen Erbsen. Im Herbst und Winter wiederum nutzen wir für das Gericht die gleiche Brühe, aber wir ergänzen die Seegurke mit violetten Möhren oder anderem Saisongemüse. Eine weitere faszinierende Variante ist Seegurke mit ein wenig frischem Fenchel und schwarzem Trüffel - mal in der frischen Form oder als Trüffel­gelee.

Die spanische Sterneköchin Macarena de Castro präsentiert im zweiwöchentlichen Wechsel mit dem Briten Marc Fosh Zutaten, Rezepte und Küchentipps.