Schließen Sie doch mal einen Moment die Augen und stellen sich ein Sinfonieorchester vor, das gerade ein Konzert beginnt. Die Augen der Musiker sind auf den Dirigenten gerichtet, er hebt den Taktstock, und die Musik setzt ein. Und? Wie haben Sie sich vor Ihrem geistigen Auge den Dirigenten ausgemalt? Als älteren Mann im schwarzen Anzug, richtig? So sind wir es gewohnt. Aber es gibt sie tatsächlich: Dirigentinnen, die sich international einen hervorragenden Ruf erarbeitet haben. Alondra de la Parra ist so jemand. Umso erstaunlicher, dass die 37-jährige Mexikanerin erst in diesem Jahr ihr Spanien-Debüt gegeben hat, vor wenigen Tagen in Bilbao. Am Donnerstag (1.2.) kommt das Publikum der Balearen-Sinfoniker im Auditorium von Palma de Mallorca um 20 Uhr (Karten: 22/32 Euro) in den Genuss des zweiten Gastspiels von de la Parra in Spanien. Das Orchester spielt die „West Side Story" von Bernstein, den „Danzón" des mexikanischen Komponisten Márquez, ein Klarinettenkonzert des Spaniers Navarro sowie den „Bolero" des Franzosen Ravel - schön international, wie die hochschwangere de la Parra beim Treffen mit vier Inselmedien am Mittwoch (31.1.) im Hotel Tryp Bellver in Palma feststellt.

Die männliche Übermacht in Ihrem Berufszweig ist er­drückend, es gibt nur eine Handvoll weibliche Dirigenten, die international bekannt sind. Woran liegt das?

Ich glaube, dass es viele Jahre lang keine realistische Möglichkeit für Frauen gab, diesen Beruf zu ergreifen. Diejenigen, die die Entscheidungen trafen und Frauen eine Chance hätten geben können, ließen sie nicht ran. Es waren eben ausschließlich Männer. Dazu kam, dass es nur sehr wenige Frauen gab, die Dirigentinnen werden wollten. Eine Rolle spielt dabei sicher, dass Kinder und Beruf in diesem Fall sehr schwer unter einen Hut zu bekommen sind.

Im Vorgespräch hatte Alondra de la Parra erzählt, dass sie mit ihrem ersten Sohn bis zum achten Monat der Schwangerschaft gereist war und gearbeitet hatte. Auch jetzt hat sie nach dem Auftritt in Palma noch ein Ballett in London zu bewältigen. Sie verbringe oft mehr Zeit im Flugzeug als im Probenraum. Hinzu kommt, dass sie in Mexiko lebt, beim Queensland Symphony Orchestra in Brisbane angestellt ist und einen Großteil ihrer freien Verpflichtungen in Europa hat. Ihr zweijähriger Sohn begleitet sie überallhin. Sie kenne keine zweite Dirigentin, die gerade schwanger sei oder kleine Kinder habe.

Wie reagieren Kollegen und Musiker auf Sie?

Es ist inzwischen ja ein wenig verbreiteter als früher, Frauen in meiner Position anzutreffen, aber trotzdem gibt es immer noch manchmal Probleme bei der Akzeptanz.

Die scheint auch Ihr russischer Dirigentenkollege Vasily Petrenko zu haben, der vor ein paar Jahren sagte: Weibliche Dirigenten irritierten das Orchester mit ihrer sexuellen Energie. Was entgegnen Sie da?

Es ist unfassbar, heutzutage noch so zu denken, und noch schlimmer ist es, das auch noch öffentlich zu sagen. Aber er ist da Gott sei Dank nicht die Mehrheit. Auch unter den Musikern denkt nur eine kleine Minderheit ähnlich. Es geht den Musikern doch um etwas völlig Anderes, nämlich dass da jemand vor ihnen steht, der einerseits Empathie für sie hat und andererseits das Orchester führen kann.

Glauben Sie, dass das eine Frau besser hinbekommen kann als ein Mann?

Ich glaube vor allem, dass wir alle Mann und Frau in einer Person sind. Wir müssen, je nach Situation, mal mehr unsere männliche, mal unsere weibliche Seite zeigen.

Wie schwierig war es denn für Sie im Vergleich zu Ihren männlichen Kollegen, bis dahin zu kommen, wo Sie jetzt sind?

Das kann ich natürlich nicht beurteilen. Ich bin nun mal kein Mann. Aber ich sehe mich noch nicht ganz oben. Auf dem obersten ­Level gibt es bis heute noch keine Frau am Dirigentenpult. Da haben wir Frauen noch einiges an Arbeit vor uns.

Fühlen Sie sich ähnlich wie Ihre Kollegin Simone Young ein wenig als Pionierin?

Wir haben ein Stück weit die Tür für andere Frauen geöffnet, Simone und ein paar andere Frauen aus ihrer Generation sicher noch um einiges mehr als ich. Sie war ja früher dran und hatte es noch viel schwieriger als ich. Die kommenden Generationen werden es wieder ein bisschen einfacher haben als ich. Aber das Studium an sich wird immer sehr anspruchsvoll bleiben.

Als Mexikanerin haben Sie eine große Affinität zu Komponisten aus Lateinamerika und werden etwa den mexikanischen Komponisten Márquez in Palma aufführen. Funktioniert dieses Repertoire auch in Europa?

Ich bin mir sicher, dass diese Werke das Publikum hier begeistern werden. Der „Danzón" von Márquez ist ein Tanz voller Rhythmus, der die populäre Musik aus Mexiko mit der klassischen Musik vereint. Heutzutage wird der danzón auf nahezu jeder plaza in Mexiko getanzt. Es ist ein sehr sinnliches Stück, mit viel Rhythmus. Die Menschen auf der Insel werden viel Neues zu hören bekommen in dem Konzert, und ich glaube, die Energie der Musiker wirkt ansteckend auf die Zuhörer. Ich bin sehr froh, wie gut das Ensemble hier mitgeht.

Ein Ensemble, das Sie vorher überhaupt nicht kannten. Wie gehen Sie an eine solche Aufgabe hier heran, auch im Vergleich zu Ihrer Arbeit in Queensland, wo Sie ein ganzes Jahr mit denselben Musikern zusammenarbeiten?

Das erste Mal mit einem neuen Orchester ist immer wie bei einem Blind Date. Man muss einfach darauf vertrauen, dass es schon irgendwie klappt. Und dann wird es meistens auch sehr schnell sehr angenehm, weil es allen um die Musik geht. Wenn man mit einem klaren Konzept von dem, was man möchte, ankommt, dann entsteht schnell ein enger Kontakt mit dem Orchester. Heutzutage sind das alles ausgezeichnete Musiker, da gibt es wenig Schwierigkeiten. Bei meinem Orchester in Queensland kenne ich alle Mitglieder schon ziemlich genau - im guten wie im schlechten Sinne.

Welche Zukunft sehen Sie für die klassische Musik?

Ich glaube, uns stehen rosige Zeiten bevor. Wir haben uns jetzt jahrzehntelang von allem Natürlichen, Menschlichen entfernt und alle Anstrengungen in die Technik und alles Digitale gesteckt. Die Leute haben das zunehmend satt und wollen wieder echte Instrumente statt computergenerierter DJ-Musik, sie wollen wieder echte sinnliche Erlebnisse statt auf einen Bildschirm zu starren. Und da kommen wir ins Spiel. Schon jetzt setzen viele Stars aus der Popmusik wieder auf den Einsatz von echten Instrumenten. Es wird da einen Wandel in den nächsten 20, 25 Jahren geben.