Der erste flüchtige Blick lässt vermuten, das Lokal befinde sich irgendwo in den Südstaaten der USA. Das Licht wirkt grell, man sieht ein Vorfahrt-beachten-Schild, und unter dem Schriftzug „Music Bar" ist auf einer weißen Fassade ein tanzendes Paar abgebildet. Nur oben links sieht man ganz klein den Teil eines Gebäudes mit den typischen mallorquinischen Fensterläden. „Campos, 2015" ist das Bild

beschriftet.

Im Rahmen des Chopin-Festivals in Valldemossa zeigt der Fotograf Jean Marie del Moral Schwarz-Weiß-Fotografien, die zwischen 1972 und 2017 entstanden sind. 65 Bilder hat del Moral ausgesucht. Es ist weder ein Best-of, noch im engeren Sinne des Wortes eine Retro­spektive. Vielmehr habe er eine Geschichte erzählen wollen, die Bilder in einem langen Satz aneinandergereiht, sagt del Moral.Intimität durch das kleine Format

Das erste Foto, das er bei der Planung der Ausstellung ausgesucht habe, zeigt einen Arbeiter in einem Kohlelager in Paris im Jahr 1972. Im Laufe der Schau wandert del Moral durch verschiedene Landschaften, in der Türkei und den USA, in Mexiko und China und auch auf Mallorca. Viele Bilder sind menschenleer, auf den anderen finden sich selten mehr als eine oder zwei Personen.

Del Moral hat sich für ein kleines Format entschieden. „Ich glaube nicht an den Magnifizierungswahnsinn", sagt der Fotograf. „Durch das kleine Format muss man sehr nah an die Bilder herangehen, dadurch entsteht Intimität." Die hölzernen Rahmen hängen dicht aneinander im Kapitelsaal der Kartause. Wenn es nach dem Fotografen geht, soll man die Bilder links beginnend im Uhrzeigersinn lesen.Sohn eines Andalusiers und einer Katalanin

Sind es am Anfang noch recht viele Arbeiter, Passanten und arme Leute, finden sich am Ende der Ausstellung hauptsächlich Künstler. Alex Katz, Mauricio Cattelan, Roy Lichtenstein. Das letzte Bild zeigt Joan Miró.

Del Moral ist der Sohn eines Andalusiers und einer Katalanin, die vor der Franco-Diktatur nach Frankreich geflüchtet waren. Er war 16 Jahre alt, als er im Jahr 1968 anfing, erste Bilder von Demonstrationen in linken Zeitschriften zu veröffentlichen. Anfang der 70er-Jahre ging er in die USA und nach Kanada, lernte dort eine ganz andere Fotografie-Schule kennen.

Zehn Jahre nach seinem ersten Bild schickte ihn ein französisches Magazin nach Barcelona, um im Spanien des Umbruchs Intellektuelle zu fotografieren. Einer von ihnen war Joan Miró, der ihn in sein Atelier Taller Sert nach Mallorca einlud. Das in der Kartause ausgestellte Bild entstand bei diesem Termin.

Eine vielfältige Bildsprache

Fortan widmete sich del Moral, der seit 2012 auf Mallorca lebt, nebenbei der Fotografie von Künstlerateliers - Bilder, die in der Ausstellung überraschend wenig vertreten sind. Und auch Joan Miró blieb er treu. Vor zwei Jahren erschien etwa das Buch „El ojo de Miró", in dem der Fotograf Details aus dem mallorquinischen Atelier des Jahrhundertkünstlers abbildet.

Es ist bemerkenswert, wie del Moral in seiner Bildsprache variiert. Referenzen an die Sozialfotografie von Walker Evans finden sich ebenso wie fast filmisch wirkende Szenen mit Anleihen an Wim Wenders. Ein Foto aus dem New York der 70er-Jahre ist eine Verneigung vor Cartier-Bressons Thesen vom „entscheidenden Augenblick". Ein Mann springt über eine Pfütze. Alle Passanten auf der Straße befinden sich gerade im Schritt. Und auch die Figuren oben auf den Werbeplakaten für das Theater sind mit offenen Beinen abgebildet.Das "defintitive Barceló-Portait"

Während viele der Künstler­porträts wie für ein Magazin-Interview inszeniert wirken, ragt eines doch heraus. Es stammt von 1988 und entstand in Gao (Mali). Es ist etwas aus der Distanz aufgenommen und zeigt einen jungen Miquel Barceló, wie er barfuß und mit nacktem Oberkörper vor einer Hütte sitzt. Sein Blick sagt „Ich gegen die Welt". Er ist voller Tatendrang, dabei sitzt er einfach nur da. Es sei sein „definitives Barceló-Porträt", sagt del Moral.

Viele der Bilder seien auf privaten Reisen entstanden, erzählt der Fotograf. Die wenigsten bei Auftragsarbeiten, und wenn, dann auch nur am Rande von Reportagereisen. Hier sehen wir also die Welt aus del Morals Auge. Die Entscheidung der Festivalleitung, dem Fotografen bei der Gestaltung freie Hand zu lassen, war richtig.

Ohne den Zwang, Erwartungen erfüllen zu müssen, blicken wir in eine Welt voller absurder Situationen, aber auch voller Einsamkeit. Es erschließt sich nicht bei jedem Bild, warum del Moral es ausgewählt hat. Zumindest nicht sofort. Manche Bilder ergeben nebeneinander einen Sinn, spielen einander zu, bei anderen wiederum scheint es keinen logischen Zusammenhang zu geben. Aber das ist gut so, vielleicht ist die einzige Person, die diese Ausstellung in ihrer Gänze erfassen kann, der Fotograf selbst. Gleichzeitig erlaubt diese auf den ersten Blick interpunk­tionslose Aneinanderreihung, dass der Betrachter selbst seinen eigenen Erzählrhythmus, seine eigene Geschichte entwickelt. Nur der Anfang und das Ende stehen fest: ein Parkplatz in Ayers Cliff im Jahr 1975 und Joan Miró, drei Jahre später.

Jean Marie del Moral, 1972-2017, Kapitelsaal der Kartause Valldemossa, bis Anfang September