Seit vergangenem Samstag hängen 16 moderne Apokryphen im Diözesanmuseum von Palma. Apokryphen sind alte, religiöse Schriften, die nicht in den bi­blischen Kanon aufgenommen wurden, also nicht zur offiziellen Berichterstattung zählen, weil sie den Verfassern und Erneuerern der Bibel nicht in den Kram passten oder erst spät entdeckt wurden.

Die Neu-Interpretationen zeigen zum Beispiel Astronauten, die die einbalsamierte Maria sezieren, Jesuskinder mit Handy in der Hand, Heilige mit Tattoos, Engel, die ihre goldenen Flügel für eine Handvoll Euro verkaufen.

Angefertigt haben sie Comic-Zeichner der Insel, im Auftrag des Domherren und Museumsleiters Gabriel Amengual. Die Künstler Margalida Vinyes, Nívola Uyà, Flavia Gargiulo, Enriqueta Llorca, Marta Masana, Max, Bartolomé Seguí, Linhart, Canizales, Rafael Vaquer, Gonzalo Aeneas, Ata, Jaume Balaguer, Àlex Fito, Pere Joan und Tátum wurden eingeladen, Bilder des 14. bis 16. Jahrhunderts zu deuten, zu ergänzen oder grafisch zu kommentieren.

Ergreifend schön, geheimnisvoll und ausdrucksstark

Die Vorlagen sind im Museum dauerhaft ausgestellt, aber trotzdem „kennt sie keiner", wie Juan Roig, Sprecher des Zeichner-Verbandes Clúster de Còmic, sagt. „Touristen kommen vielleicht ab und zu, aber welcher Mallorquiner kennt schon das Diözesanmuseum?" Trotz zentraler Lage im Bischofspalast direkt neben der Kathedrale halten sich die Besucherzahlen in Grenzen.

Dabei sind die alten Werke ergreifend schön, geheimnisvoll und ausdrucksstark: Die Sammlung zeigt besondere Gemälde, Altarbilder und Skulpturen aus Mallorcas Kirchen und Klöstern. Die Initiative geht auf zwei Bischöfe des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts zurück. Eröffnet wurde das Museum vor 101 Jahren.Ich will, dass der Kulturminister informiert wird!

Die Ausstellung „Apòcrifs. El Diocesà il·lustrat" präsentiert die kaum bekannten Werke neu und soll Menschen einen Zugang zu sakraler Kunst verschaffen, die bisher wenig damit anfangen konnten. Kuratiert wurde die Schau von Catalina Mas, Restauratorin der Diözese, sowie Juan Roig und Sónia Delgado vom Comic-Cluster.

Den ausgewählten Zeichnern wurden Bilder zugeteilt. Roig erzählt, dass ihm schnell klar wurde, welches Bild zu welchem Künstler passt. „Ich kenne meine Kollegen und weiß, was sie anspricht." Max sollte die „Brücke zum Fegefeuer" deuten, ein spektakuläres, ex­trem querformatiges, dreiteiliges Gemälde, das die Betrachter im 16. Jahrhundert zu Tugend ermahnen und einschüchtern sollte. Es zeigt vor Schmerz schreiende Menschen. Max entwickelte im selben Format einen dreiteiligen Comicstrip, auf dem ein Künstler ins Fegefeuer gejagt wird, von einem Teufel mit Dreispitz. Der Hilferuf des Künstlers „Das ist unerhört! Ich will, dass der Kulturminister informiert wird!", kritisiert die verfehlte Kulturpolitik der konservativen spanischen Regierung.

"Wir erkennen nicht mehr, was wichtig ist"

Margalida Vinyes, die eine Kreuzigungsszene des Malers Pere Terrencs aus dem 15. Jahrhundert zugeteilt bekam, hat sich in die Thematik tief eingearbeitet. Sie bezeichnet sich selbst als Agnostikerin (Existenz Gottes ist nicht klärbar), hat aber bei der Arbeit entdeckt, wie sehr allgemeine Werte von der christlichen Botschaft geprägt sind. „Empathie, Menschenrechte, das predigte ja schon Jesus Christus." Sie platziert die Szene in New York vor einem Wolkenkratzer, das Kreuz ist ein Metallkreuz, das aus den Trümmern des World Trade Centers stammt. Die drei römischen Soldaten, die im Original um Jesus´ Kleider würfeln, sind drei schwer bewaffnete Polizisten, Magdalena macht ein Selfie, Maria

kommt vom Shoppen. „Wir schauen weg und erkennen nicht mehr, was wichtig ist", sagt Vinyes.

Die Arbeiten überraschen wegen ihrer Direktheit und Kritik, und sie regen zum Denken an, über christliche Grundwerte, heutige Verhaltensmuster. Darin gleichen sie den Originalen: Auch diese sollten den Menschen religiöse Werte vermitteln. Wer Blasphemie, Sarkasmus oder Grenzüberschreitung erwartet, wird enttäuscht. So gut wie alle Künstler prangern den Werteverlust an. Und es erstaunt, welch breites Themenspektrum sakrale Kunst bietet: von Feminismus und Mutterschaft über Gewalt und Rassismus bis Wissenschaft und Politik.

„Mindestens für sechs Monate", so Catalina Mas, stehen den alten Werken die neuen Arbeiten zur Seite. Erlaubt war den Künstlern alles, technisch sowieso, aber auch inhaltlich. Gabriel Alomar, Priester, Dozent für Philosophie­geschichte und Verantwortlicher für die Kunstwerke der Kathedrale, ist mit seinen 71 Jahren begeistert von den „frischen Ideen und der direkten Sprache" der Comic-Zeichner. Die Annäherung ist also wechselseitig: Junge oder kirchenkritische Leute können sakrale Kunst betrachten und betagte Geistliche Freude an Comics entwickeln.

„Apòcrifs. El Diocesà il·lustrat", Museu Diocesà im Bischofspalast Palau Episcopal, Carrer Mirador 5, Palma. Mo.-Fr. 10-17.15 Uhr (18.15 Uhr Juni-September), Sa. 10-14.15 Uhr, So. und feiertags zu. Eintritt: 2 Euro Inselresidenten, 3 Euro Besucher. Kinder bis 10 Jahre frei.