Es ist mehr als drei Jahrzehnte her, dass das Gesicht von Midge Ure fast jedem Fernsehzuschauer bekannt war - als gut geföhntes Mitglied der Synth-Pop- und New-Romantic-Band Visage etwa, die mit „Fade to Grey" 1980 einen großen Hit landete. Oder als Gitarrist und Sänger der musikalisch mehr in Richtung Glamrock ausgerichteten Band Ultravox, deren Hit „Dancing with Tears in my Eyes" aus dem Erfolgsalbum „Lament" vielen noch ein Begriff sein dürfte. Weniger bekannt ist Ures Anfangsphase in den 70er-Jahren, als er in einer kurzlebigen Band namens Slik mitagierte, die auch in kultigen deutschen TV-Sendungen wie der ZDF-Disco mit dem unvergessenen Ilja Richter auftauchte und damals als Nachfolgergruppe der Bay City Rollers gehandelt wurde. Der Song „Forever and ever" gelangte sogar auf Platz 1 der britischen Charts.

Surfen auf der Nostalgiewelle

Die 80er-Jahre-Nostalgie bringt es mit sich, dass der inzwischen bereits 62-Jährige weiterhin viel beschäftigt ist, allerdings nicht so sehr im Fernsehen, dafür aber on tour. „Erst kürzlich nahm ich an einem Eighties-Festival in Perth in meiner Heimat Schottland mit 22.000 Besuchern teil", so der inzwischen seines einst dichten Schopfes völlig verlustig gegangene Musiker gegenüber der MZ. „Auch die New-Wave-Band ABC war dabei und die Rocker von Big Country." Es wundere ihn selbst ein wenig, dass er momentan öfter denn je in seinem Leben auftrete. „Die Leute sehnen sich vor allem nach der New-Romantic-Musik, für die ich stehe." Dieser Stil wurzelt im glamourösen Wirken des am 10. Januar an Krebs gestorbenen Musikers David Bowie, Gruppen wie Talk Talk, Eurythmics mit Annie Lennox oder Alphaville zählten dazu.

Am Samstag (30. Juli) setzt Midge Ure seine Auftritts-Kanonade auf Mallorca fort: Er ist einer der Stargäste auf der Party zum 20. Geburtstag des Inselradios im Kunstdorf Pueblo Español in Palma. „Ich werde allein mit meiner Gitarre auf die Bühne gehen und natürlich altbekannte, aber auch neue von mir komponierte Songs spielen." Songs, in welchen wie früher Synthesizer und Gitarren eine Symbiose eingehen - „das ist nach wie vor mein Markenzeichen".

Seit 1985 schon ist Midge Ure vor allem Solokünstler, zwölf Alben hat er bereits auf den Markt gebracht. Sein ältestes, „The Gift", war sein erfolgreichstes und erreichte in den britischen Charts sogar Platz 2. Andere wie „Answers to nothing" von 1988 oder „Pure" von 1991 schafften es dagegen nicht einmal in die Top 20, was auch für seine neueste Platte gilt: „Fragile" aus dem Jahr 2014, die über Rang 66 nicht hinauskam.

Bereits am Freitag wird Midge Ure auf der Insel landen, die er nicht so sehr als Auftrittsort, aber von mehreren Strandurlauben her kennt. Und nach Mallorca geht es weiter wochenlang auf Tournee. „Den ganzen September und Oktober über trete ich in den USA und Kanada auf, in Städten wie Milwaukee, Cleveland, Chicago oder Toronto."

So gern er 80er-Stücke spielt, so sehr verabscheut Midge Ure mittlerweile die aus heutiger Sicht befremdlich wirkenden bunten Klamotten wie etwa jene unvergessenen Jacketts mit überdimensionalen Schulterpolstern. Er zieht nunmehr schlichtes und elegantes Schwarz vor.

Weihnachtshit aus der Küche

Doch die Klänge bleiben und wecken nostalgische Gefühle. Das geschieht auch bei dem Welt­hit „Do they know it´s Christmas" von Band Aid aus dem Jahr 1984, dessen Musik Midge Ure mitkomponiert und dessen Text er ­maßgeblich ersonnen hat. Das alles erledigte er in wenigen Tagen nach einem Anruf von Bob Geldof - „an einem kleinen Keyboard in meiner Küche", wie er sagt. Geldof, der Frontmann der Boomtown Rats („I don´t like Mondays") hatte in den BBC-TV-Nachrichten schockiert einen Bericht über eine Hungersnot in Äthiopien gesehen und beschlossen, etwas dagegen zu unternehmen.

40 britische und irische Künstler wurden für den Song gewonnen, darunter Bono (U2), Phil Collins, Tony Hadley (Spandau Ballet), Sting und George Michael. Als Anekdote ist überliefert, dass Bob Geldof dafür Boy George („Do you really want to hurt me?") in New York aus dem Schlaf klingelte und ihn wenige Stunden später in einer Concorde von New York nach London einfliegen ließ, auf dass er pünktlich zur Aufnahme seines Solo-Parts erscheine.

So erfolgreich „Do they know it´s Christmas" war - Midge Ure sieht darin nicht das Genialste, das ihm je einfiel. Aber das sei nachrangig. Das eingespielte Geld habe vielen hungernden Menschen geholfen. „Und das tut der Song nach wie vor, denn immer dann, wenn er irgendwo im Radio gespielt wird, geht ein Teil des dafür bezahlten Geldes an Projekte, die einst von Band Aid angestoßen wurden", so der Künstler zur MZ. „Mit einer guten und erfolgreichen Idee kann man wirklich viel bewegen."

Für sein nachhaltiges Engage­ment zugunsten der Armen der Welt wurde Midge Ure von der Universität Dundee im Jahr 2005 mit einem Ehrendoktortitel ausgezeichnet. Es folgten weitere Titel durch andere britische Hochschulen. Midge Ure reiste als Botschafter der NGO „Save the Children" wiederholt nach Äthiopien, um zu überprüfen, wie mit den durch Band Aid eingenommenen Geldern vor Ort umgegangen wurde, und besuchte auch andere Länder Afrikas wie den durch einen Bürgerkrieg völlig zerstörten Kleinstaat Sierra Leone.

Ein Jahr nach dem großen Erfolg von „Do they know it´s Christmas" legte Michael Jackson (1958-2009) mit der Weihnachtshymne „We are the World" bekanntlich mit Schmackes nach und schaffte es ebenfalls, einen Welthit zu kreieren.

Dass er schon lange nicht mehr eine richtig große Nummer am Pophimmel ist, ficht Midge Ure - wie er sagt - nicht im Geringsten an. „Aber es macht mir weiter einen Riesenspaß, Musik zu machen." Der kreative Prozess ähnelt dabei seinem zweiten großes Hobby, dem Kochen. „Damit hatte ich einst angefangen, um Freundinnen zu imponieren", so Midge Ure. „Wenn ich koche, dann genieße ich das Entstehen des Gerichts, vor allem das Hinzufügen der Zutaten." Und so ergehe es ihm auch, wenn er einen neuen Song komponiert. „Es fasziniert mich, die Einzelelemente zu einem harmonischen Ganzen zu vermengen."