Als Spanien noch Geld hatte, konnte es bei Thomas Hirschhorn Arbeiten in Auftrag geben. Zum Beispiel 2008, als das Museo de Arte Contemporánea Marco im nordwestspanischen Vigo eine große Installation namens „Equality Float" (Wagen der Gleichberechtigung) zeigte. Nun ist das Werk noch einmal zu sehen, im Aljub, dem ehemaligen Wasserspeicher des Es-Baluard-Museums in Palma. Die Zweitverwertung ist zwar Finanznöten geschuldet, passt aber wunderbar zum Konzept des weltweit sehr erfolgreichen und hoch gehandelten Schweizer Künstlers.

Die Installation wirkt bewusst billig und laienhaft. Alle Elemente sind auf einem gelb-blauen Holzgestell üppig mit Klebeband befestigt, wie das Arbeiter von Umzugsfirmen auch tun. Der Wagen ist mehr als 20 Meter lang, sechs Meter breit und drei Meter hoch.

In seiner Gestaltung gleicht er einem spanischen oder lateinamerikanischen Umzugswagen bei Paraden oder Festen. Es gibt blau-gelbe Tanzwedel wie die von Cheerleadern, Unmengen von bunten Plastikblumen und ganz viele Arzneikapseln, die mal massenweise aufgehäuft irgendwo herumliegen und dabei ganz hübsch aussehen, oder als bunt bezogene Riesenkapseln aus Styropor von dem Wagen quellen. Volkskunst und Geschmacklosigkeit gehen bei Hirschhorn immer fließen ineinander über. Da fehlen eigentlich nur noch eine weinende Marienstatue oder ein wackeliger Christus, die Flagge eines Staates oder die Karikatur eines Politikers.

Doch Hirschhorns Botschaft ist eine andere. Wer es schwarz auf weiß braucht, der sollte die Begriffe lesen, die mit schwarzem Edding auf aufrecht montierte Wellpappe geschrieben sind: Nachbar - Der Andere - Mut - Inklusion stehen da, oder Arbeit - Aussage - Unschuld - Produktion. Darunter sind einige Wörter durchgestrichen, Wörter wie Geschichte, Lösung, Vergangenheit, Umstände, Regionalismus, Glamour.

Hirschhorn bedient sich bei seiner Arbeit immer billiger, schnell konsumierbarer Materialien, akkumuliert Hässlichkeiten, kritisiert damit die gesellschaft­liche Realität und scheint zu sagen: Seht her, Ramsch ist es, was uns verbindet. All der Plunder soll bei ihm verwirrenderweise für soziale Gerechtigkeit stehen, für die Wahrnehmung des Anderen und ethisches Handeln. Allmählich dringt die Botschaft durch.

An den Ecken des Wagens hat Hirschhorn philosophische Bücher aufgehängt, die die Besucher lesen können (was der Künstler wohl selbst nicht glaubt): „Der Gesellschaftsvertrag" von Jean-Jacques Rousseau, Immanuel Kants „Kritik der reinen Vernunft" oder „Eine Theorie der Gerechtigkeit" von John Rawls.

Grundlegend für viele seiner Arbeiten ist allerdings ein anderer Philosoph, der 45-jährige Deutsche Marcus Steinweg. Sein gedruckter Text „Gemeinschaft der Ungleichen" ist Seite für Seite auf eine Stellwand geklebt. Die klein gedruckten Zeilen wirken in all dem Formen- und Farbenwust visuell so unglaublich unattraktiv, dass schlagartig klar wird, wie geschickt der 59-Jährige Form und Inhalt verbindet. Resigna­tion macht sich breit, Traurigkeit, angesichts der permanenten Zerstreuung, all der Seichtheit und Verschwendung, in der wir leben und die wir beinahe schon als normal empfinden.

Hirschhorn bezeichnet sich selbst als engagierten Künstler und als jemanden, der Kunst politisch macht. In seiner Arbeit vereine der 59-Jährige Politik, ­Philosophie, Liebe und Ästhetik, sagte der Kurator der Ausstellung, der Madrilene Ignacio Cabrero. In der Mitte des Wagens sind, verdeckt von buntem Kram, zwei riesige Hände montiert, die sich einander zuwenden. Sie stünden für die Kunst und die Philosophie, sagt Cabrero, „und die Freundschaft, die beide verbindet". Er hat die Arbeit, die den ganzen Sommer über im Wasserspeicher des Museums zu sehen ist, vor allem deshalb ausgesucht, weil sie für Hirschhorn typisch sei. Zwischen Kabeln, Schaufensterpuppen und dick versprühtem Isolierschaum sind auch zwei Disco­kugeln zu sehen. Sie sollen nicht zum Tanzen verleiten, sondern werfen als Symbol der Erde dem Betrachter sein Spiegelbild entgegen. Da zieht man mit hängendem Kopf von dannen und nimmt sich vor, ab heute ein besserer Mensch zu werden.

Thomas Hirschhorn wird zur Finissage am 8. September kommen und ab 19 Uhr an einer offenen Gesprächsrunde teilnehmen. Die Schau läuft bis 18. September.