Es gibt dieses Selbstporträt von Edgar Herbst. Eigentlich sieht man nicht viel. Er hat es im Spiegel aufgenommen, der Blitz verdeckt das Gesicht und die Kamera. Eigentlich sind nur die Hände zu sehen. „Es drückt aus, wie ich mich gerade fühle", sagt der Fotograf. „Ein Zustand, in dem der Kopf explodiert. Das Blitzlicht wirkt wie Platzregen." Seit vergangenem Wochenende zeigt Herbst seine

Fotografien in der Galerie Kewenig. „Für Edgar" heißt die

Ausstellung.

In den 90er-Jahren war Herbst einer der gefragtesten Gesellschaftsfotografen Deutschlands. Vom Wiener Opernball bis Cannes ist er überall gewesen, wo sich die High Society getummelt hat. Er hat für den „Stern" ebenso gearbeitet wie für die „Gala", für den „Spiegel" und auch ab und zu für die „Bunte". Er war derjenige, den man hinschickte, wenn der Auftrag länger dauern sollte. Doch die vielen Eindrücke haben ihn müde gemacht. Das wilde Leben, die Exzesse haben an seinem Körper genagt. Er hat Schmerzen.

Angefangen hatte Herbst in Frankfurt, das war in den 80er-Jahren. Er arbeitete in einer Gaststätte und fotografierte dort das Nachtleben. Er reiste herum, zog nach Hamburg, später nach Berlin. Kurz nach der Jahrtausendwende hörte er auf mit den Aufträgen für

Magazine. Jahrelang verkaufte er das renommierte „Dummy"-Magazin in den Bars und Restaurants der Hauptstadt und fotografierte Partys für private Auftraggeber.

In Berlin lebt er seit über einem Jahr nicht mehr. Jetzt lebt er auf dem Land, mit Künstlern, DJs, in einer kleinen Kolonie. Dort wühlt er sich durch sein Archiv. „Da stehen fast 200 Ordner mit Negativen herum."

Hier hat er sie gefunden, die „beängstigende Ruhe", wie er sie nennt. Hier arbeitet er sein Archiv durch. Statt Stars fotografiert er Wolken und Blumen, immer mehr gehen seine Bilder auch ins Abstrakte. Beispiele dafür sind auch in der Ausstellung zu finden, neben der Kapelle, in den Büroräumen der Galerie. Für einen Moment wirkt er richtig zufrieden, wie er da sitzt in der Galerie, Kippe in der Hand, Bierflasche und Kaffee­tasse vor sich, und davon erzählt, wie schön es ist, das Laub zu kehren. Es sei notwendig, sich auf das zu konzentrieren, was man gerade macht. „Das habe ich von den Buddhisten, auch wenn ich selbst keiner bin", sagt er und fügt fast schelmisch hinzu: „Dafür saufen die zu wenig."

„Für Edgar", das klingt wie ein Nachruf auf sich selbst. Wobei das so nicht gemeint sei, sagt Herbst. Die Ausstellung sei auch keine Werkschau, selbst wenn Bilder aus den unterschiedlichsten Phasen seiner Arbeit stammen. Was dann? Vielleicht eine Momentaufnahme, vor allem aber ein Schritt auf der Suche nach sich selbst.

Herbst hat bei Weitem nicht alle Bilder aufgehängt, die er mitgebracht hat. Von den 79 Bildern lehnen viele an der Wand, sie wurden nicht berücksichtigt. Nicht, weil sie den Ansprüchen nicht gewachsen wären. Vielmehr sei es der Raum gewesen, die alte Kapelle des Carrer Sant Feliu, der nach einer Reduktion verlangt hätte. Der Impuls, das sagt Herbst ganz frei, ging nicht von ihm aus: „Ich hätte alles vollgehängt." Stattdessen sind es jetzt 37 Fotos.

Und so finden sich das Bild eines Hausmeisterehepaars bei einem Abendessen ebenso wie das einer jungen Frau, die eines Morgens in Island aus einer Bar kommt. Oder dass von Amateurfußballern, die ein Tor bejubeln. Und mittendrin das Selbstporträt mit dem Blitz.Herbst verklärt sein altes Leben nicht, aber er bereut es auch nicht. Natürlich sei es ihm auch um Anerkennung gegangen. Irgendwann hatte er ja dann genug herausragende Persönlichkeiten kennengelernt, wurde selbst interviewt, war in gewisser Weise Teil dieser glitzernden Welt. Seine Fotografien könnten durchaus als Vorläufer für das durchgehen, was Magazine wie „Vice" heute machen. Rohe Bilder, ungeschönt, den Exzess in den Vordergrund stellend. Würde er das behaupten, wäre das überheblich. Sagt Herbst. Und ergänzt: „Was übertrieben wird, verliert an Wert."

Er versuche nun, nach vorne zu schauen. Paradigmenwechsel nennt er das. Er liebe das Spiel, dass sich in seinen Fotografien ergibt, zwischen der Ruhe und der Tat, dem Schrei und der Stille. Und so ist die Ausstellung in der Galerie Kewenig eine Rückschau, aber auch ein Versprechen, dass es weitergeht. „Man muss die Fotos in erster Linie für sich selbst machen", sagt Herbst. Wobei er ein Menschenfreund sei. Auch deshalb habe er es als Gesellschaftsfotograf geschafft, jenes Vertrauen der Leute zu gewinnen, das nötig ist, um das richtige Bild zu machen. „Bild Nummer 38 ist immer das Beste", sagt er. Und immer, wenn er den Kontakt hatte, habe er die Bilder vor der Veröffentlichung vorgelegt. „Wenn die Person es nicht wollte, wurde es auch nicht veröffentlicht."

Auch heute, wo er abstrakter arbeitet, sei er immer noch von seinen Mitmenschen fasziniert. „Es ist immer noch das Größte für mich, in einen Menschen, in eine Seele hineingelassen zu werden." Und gefällt ihm das, was ihm begegnet, jetzt, wo er auf der Reise, auf der Suche nach sich selbst ist? „Absolut. Auch wenn es manchmal schwierig ist."

Edgar Herbst, Für Edgar, Galerie Kewenig, C/. Sant Feliu, s/n, bis 10.9.