Filmfestivals laufen häufig nach dem gleichen Muster. Der rote Teppich ist ein Muss, viel Glitzer, Glitzer, und am Ende reden die Leute mehr darüber, wer welches Kleid getragen hat als über die Filme. „Das hat uns nie interessiert", sagt Jaume Ripoll. Der Mallorquiner ist Mitbegründer der Plattform Filmin und bringt jetzt mit Atlántida ein neues Filmfestival nach Mallorca (27.6.-3.7. in Palma, 27.6.-27.7. auf filmin.es).

Als Thema für dieses Jahr haben sich Ripoll und seine Mitstreiter Europa ausgesucht. „Aus Sorge um den Kontinent", sagt er. „Wir sehen diese Bedrohung für die euro­päische Kultur, etwa durch die rechtsextremen Strömungen in Ungarn, Polen oder Österreich. Oder auch durch den möglichen Brexit."

Filme hätten die „Verpflichtung, Antworten zu geben oder auch die Zahl der Fragen zu vergrößern", so Ripoll. Deshalb habe man die Filme des Festivals in vier Themen-Komplexe aufgeteilt: Zum einen „Gedächtnis", also das gemeinsame Erbe der Europäer, auch um die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Zum anderen „Grenzen", ihre Handhabung und ihre Geschichte. Als dritten und vierten Schwerpunkt nennt Ripoll „Politik" und „junge Generationen".

Neu ist das Atlántida an sich nicht - es ist schon die sechste Ausgabe des Festivals, das als Online-Reihe bei den Zuschauern auf der Couch begonnen hat. Aber es ist das erste Mal, dass es aus seinem digitalen Dasein auf der Filmplattform ausbricht und sich eine Stadt als Austragungsort ausgesucht hat. Vergangenes Jahr hatte man bereits mit ein wenig Begleitprogramm in Barcelona experimentiert. Dass man nicht in der katalanischen Hauptstadt geblieben ist, sondern auf die Insel kommt, liege nicht nur daran, dass Palma eine malerische Kulisse bietet. „In Barcelona wären wir wohl nur ein Filmfestival von vielen."

Von den 45 Filmen, die bei Filmin im Internet während des Festivals laufen, werden in Palma zwölf gezeigt. Darunter sind sieben Spiel- und fünf Dokumentarfilme. Begleitet werden die Vorführungen, die im Kulturzentrum Ses Voltes, im Hof des Museu de Mallorca, im CineCiutat und im Castell de Bellver stattfinden, durch Gesprächsrunden, Podiumsdiskussionen, aber auch Konzerte. „Wir wollen, dass die Leute Spaß haben. Gleichzeitig würden wir uns aber auch freuen, wenn die Filme zu Gesprächen zwischen den Zuschauern führen."

Die Filme

Das Festival beginnt am Montag (27.6.).mit einem Porträtfilm über den slowenischen Schriftsteller Boris Pahor, eine Jahrhundertfigur im wahrsten Sinne des Wortes: Der 103-jährige Autor hat unter anderem in einem KZ eingesessen und darüber das Buch „Nekropolis" geschrieben. Die Veranstalter hoffen darauf, dass er selbst an einer Diskussionsrunde teilnimmt, die Hotelreservierung steht jedenfalls („Boris Pahor, ­retrato de un hombre libre", 19 Uhr, CineCiutat). Ebenfalls am Eröffnungstag feiert die romantische Komödie „Bittersweet Days" der Insel-Regisseurin Marga Melià Welturaufführung (21.30 Uhr, s. S. 33).

Am Dienstag (22 Uhr) wird im Castell Bellver „Childhood of a Leader" von Brady Corbet (USA) gezeigt. In der Hauptrolle: Frauen­held Robert Pattinson. Es geht um das Heranwachsen eines Faschisten-Politikers im Ersten Weltkrieg, der Film basiert auf einer Kurzgeschichte von Jean-Paul Sartre.

Am Mittwoch (29.6.) wird um 20 Uhr im Museu de Mallorca die Doku „Boye" welturaufgeführt. Es geht darin um die Geschichte des Anwalts und Satireblatt-Verlegers Gonzalo Boye, der in den 90er-Jahren wegen Kooperation mit der Terrorbande ETA verurteilt wurde. Boye ist übrigens der Anwalt des deutschen Rockerbosses Frank Hanebuth. Des Weiteren steht ab 22 Uhr im Ses-Voltes-Zentrum „Los caballeros blancos" an, ein in San Sebastián prämiertes Drama um Flüchtlingskinder im Krieg ­zwischen Tschad und Sudan vor zehn Jahren.

Zwei Filme werden am 30.6. gezeigt: Da ist die in Deutschland produzierte Dokumentation „Democracy - Im Rausch der Daten" des Regisseurs David Bernet, der kritisch die Entstehung der EU-Datenschutzverordnung begleitet (20 Uhr, Museu de Mallorca). Ebenfalls bedrückend aktuell ist der Thriller „Objetivo: Paris". Der Plot dreht sich um die Attentatspläne einer Islamisten-Zelle. Der Start wurde wegen des Anschlags auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo" im Januar 2015 zunächst verschoben. Wegen des erneuten Anschlags im November kam er schlussendlich gar nicht in die Kinos (22 Uhr, Ses Voltes).

Der Freitag steht dann ganz im Zeichen der aktuellen Flüchtlingskrise im Mittelmeerraum: „Lampedusa im Winter" des österreichischen Filmemachers Jakob Bossmann wird zunächst um 21.15 Uhr im Museu de Mallorca gezeigt. In Ses Voltes folgt um 22 Uhr das italienische Flüchtlingsdrama „Mediterranea".

Am Samstag wird um 21 Uhr im Museu de Mallorca zuerst „Depth Two" aufgeführt, ein dokumentarischer Thriller aus Serbien, der von einem Massenmord in einem Vorort Belgrads handelt. Regisseur Ognjen Glavonjic hat sechs Jahre für den Film recherchiert, der auch bei der Berli­nale gezeigt wurde und in Palma Spanienpremiere feiert. Der Regisseur wird bei der Vorführung zugegen sein. Es folgt um 22 Uhr im Ses Voltes „Bang Gang", ein französischer Film, der eine moderne Version von Larry Clarks Klassiker "Kids" zu sein verspricht.

Das Festival schließt am Sonntag (3.7.) um 22 Uhr in Ses Voltes dann doch mit ein wenig Glamour: die Spanien-Premiere von Werner Herzogs „Queen of the Desert" mit Superstar Nicole Kidman. Der Film erzählt das Leben der britischen Archäologin Gertrude Bell. Alle Vorführungen sind kostenlos, müssen aber online gebucht werden.