Sandra Seeling scheint gestresst. Sie ist gerade am Telefon, zudem hat sie Besucher im verglasten Büro an der Rambla in Palma. „Ach, das Interview ist jetzt?" Offenbar hatten wir uns nicht richtig abgesprochen. Die Gründerin des Evolution Mallorca International Film Festival (EMIFF) schnappt sich ihre Hündin Maya, und wir gehen ein paar Meter weiter in ein Café. Kaum, dass sie sich setzt, scheint der Stress wie weggeblasen. Seeling ist ganz da, nimmt sich Zeit für das Gespräch. Sie trinkt Tonic Water und raucht Marlboro light. „In Los Angeles rauche ich eigentlich nie", sagt sie. Dort wohnt sie seit zehn Jahren, arbeitet als Schauspielerin und Produzentin. „Aber hier erinnert mich das Rauchen an früher, zum Beispiel an die Strandbesuche." Seeling hat Teile ihrer Kindheit und Jugend auf Mallorca verbracht, nachdem ihre Familie aus Berlin auf die Insel zog.

Ihr kleines Festival geht mittlerweile in die vierte Runde. Und so klein ist es gar nicht mehr. Dieses Jahr dauert es sechs Tage, das Budget beträgt 75.000 Euro. Es werden über 50 Filme gezeigt, die Seeling und ihr Team aus über 620 Einsendungen ausgewählt haben. Zum Vergleich: Im ersten Jahr waren es noch 120. An jeder der Vorführungen („Blöcke"), die teils aus einem langen Film, teils aus Kurzfilmen bestehen, nimmt mindestens eine Person teil, die an der Produktion beteiligt war, und stellt sich den Fragen des Publikums.

Wie hat sich das Festival im Laufe der Jahre entwickelt?

Die Leute kommen mittlerweile auf uns zu. Es hat sich langsam herumgesprochen, dass unser Festival etwas Authentisches ist.

In den vergangenen Jahren haben Sie keine finanzielle Unterstützung von der Stadt erhalten. Ist es dieses Jahr anders?

Nein, Geld haben wir auch dieses Jahr keines bekommen, wobei uns wieder das Teatre Principal für die Eröffnung überlassen wurde. Ich verstehe aber, dass man nicht in irgendwelche Projekte und Leute investieren kann, die sich noch nicht bewiesen haben. Gerade bei den schlechten Erfahrungen, die man hier mit Filmfestivals gemacht hat. Ich war 27, als ich mit dem Festival angefangen habe. Da zögerte man sicherlich.

Sie haben bemerkenswert lange durchgehalten.

Ich habe mir die anderen Projekte angeguckt, und die haben immer den Fehler gemacht, ganz groß anfangen zu wollen. Für mich war es wichtig, dass man klein beginnt und dann gemeinsam wächst. Man kann nicht gleich Cannes oder Berlinale sein wollen, auch wenn die Insel sicher das Potenzial für so etwas hätte.

Gleichzeitig heißt es, Sie nähmen sich das Sundance-Festival als Vorbild

Sundance ist insofern interessant, da dort eindeutig die Qualität der Filme im Vordergrund steht und nicht so sehr, wer da über den roten Teppich läuft. Die Stars kommen irgendwann von alleine. Das ist es, was auch ich machen möchte.

Sundance ist auf Indie-Kino spezialisiert. Ist die mallorquinische Kulturszene dafür bereit?

Da müssen wir zunächst einmal Indie-Kino definieren. Das heißt ja nicht, Filme ohne Geld zu machen, niemanden zu bezahlen und nur­

Powerriegel zu essen. Sondern es sind Filme, die zwischen eins und fünf Millionen Euro gekostet haben. Außerdem gibt es hier auf Mallorca eine überraschend große Filmszene. Und der bieten wir eine Plattform, wie es sonst keiner tut. Auch, weil wir die Gewinnerfilme mit nach L.A. nehmen und sie dort zeigen.

Ich meinte eher das Publikum. Gibt es genügend Zuschauer?

Nun, da sind wir dem Programmkino CineCiutat sehr dankbar. Das ist ein Netzwerk an Menschen, die das Kino gern hat. Außerdem gibt es sehr viele Filmemacher, die hier auf der Insel leben. Für die ist das Festival eine Chance, Kontakte zu knüpfen.

Wie behält man den Überblick über die Kinoszene, wenn man am anderen Ende der Welt wohnt?

Ich weiß nicht, ob ich den Überblick habe. Das ist ja das Verrückte. Ich mache ein Festival und wohne nicht hier. Das war die ersten drei Jahre schwierig, aber so langsam kennen mich die Leute. Etwa die Produzenten- oder Regieverbände. Die sprechen mich an, und wir tauschen uns aus. Das ist Gold wert.

Wie oft sind sie hier?

Die vergangenen drei Jahre war ich jeweils im Frühjahr und dann einen Monat vor Festivalbeginn hier. Dieses Jahr bin ich zusätzlich im August hier gewesen, auch um den Kontakt mit den Sponsoren zu pflegen.

Haben Sie ständige Mitarbeiter?

Nein, das lässt unser Budget nicht zu. Das besteht immer noch zum großen Teil aus Sachleistungen. Hotelzimmer, Mietautos und Ähnliches. Wir haben dieses Jahr etwa 20.000 Euro Cash zur Verfügung. Das ist zu wenig, um jemanden zu bezahlen. Aber nächstes Jahr kommen wir da nicht drum rum. Wir wollen das Festival dann auf neun Tage erweitern.

Das ist ein großer Sprung.

Es gibt uns die Chance, die Filme etwas besser zu verteilen. Hier gibt es noch nicht diese Festivalmentalität, dass Leute sich wie in Berlin um 8.30 Uhr morgens für Karten anstellen und dann mittags einen Film gucken. Wenn wir mehr Tage haben, können wir auch nachmittags starten.

Der Eröffnungsfilm ist die Welt­premiere von „Blood Orange" mit Iggy Pop

Das ist uns zugeflogen. Über unser Steering Committee, einer Art Beirat, haben wir den Kontakt zum Regisseur Tony Tobias hergestellt. Uns war ein geplanter Film weggefallen, und eine Stunde später kam der Vorschlag: Ein sexy Thriller mit Iggy Pop, auf Ibiza gedreht. Was will man mehr? Es ist zwar Popcorn-Kino und ich suche eigentlich nach sozial schwierigen und provokanten Geschichten, aber als Eröffnungsfilm ist das genial. Wobei Iggy Pop bei der Eröffnung jetzt leider doch nicht dabei sein kann - er ist krank und schickt eine Videobotschaft.

Seeling beugt sich über das Programmheft. Hier, diesen einen Film möchte sie empfehlen: „The Tribe". Eine mehr als zweistündige holländisch-ukrainische Koproduktion in Zeichensprache ohne Untertitel über einen taubstummen Jugendlichen, der in einem Gehörloseninternat einer Welt voller Brutalität ausgesetzt ist. „Man versteht trotzdem alles", sagt Seeling. „Es ist keine leichte Kost, sondern ein faszinierender Film."

CineCiutat-Chef Pedro Barbadillo hat in einem MZ-Interview von seinen Plänen für ein eigenes Filmfestival berichtet und dabei erwähnt, er würde gerne mit dem EMIFF zusammenarbeiten. Was halten Sie von der Idee?

Ich finde es fantastisch, was er mit CineCiutat gemacht hat, und wir sind sehr dankbar, dass wir unser Festival dort ausrichten können. Was seine Festivalidee angeht, finde ich sie gut, bisher existiert sie aber nur in Gedanken. Ich kann nicht mit etwas zusammenarbeiten, was es noch nicht gibt. Sobald etwas passiert, können wir gerne reden. Nur eins finde ich wichtig: Es heißt nicht „Evolution Film Festival", sondern „Evolution Mallorca International Film Festival". Das ist nicht, was wir wollen, sondern das, was wir sind. Wir sind schon vier Jahre hier, das andere Festival gibt es noch gar nicht. Im Moment sind wir das Festival der Insel.

Das Programm des 4. Evolution Mallorca International Film Festival

Eröffnungsfilm:10.11.,

21 Uhr, Teatre Principal: „Blood Orange"

Programm im CineCiutat:11.11.

17.30 Uhr: Int. Kurzfilme, u. a.

„The Ring Thing", „I am Celeb"

18.30 Uhr: Showcooking Marc Fosh „Our Favourite Movie Dishes"

19.30 Uhr: Road Movie „Stones From The Desert"

22 Uhr: Experimentelle Kurzfilme

12.11.

16 Uhr: Doku „No Limits" (Dt.)

17.30 Uhr: Int. Kurzfilme

19 Uhr: Spielfilm „Pikadero"

21 Uhr: Spielfilm „Die Geschichte vom Astronauten" (Dt.)

23 Uhr: Spielfilm „The Reaper"

13.11.

14 Uhr: Kurzdokus

16.30 Uhr: Int. Drama Kurzfilme, u. a.

„The Way Things Are", „Abwesend" (Dt.), „A Private Matter"

19 Uhr: „Barcelona Nit d´Hivern"

21 Uhr: Spielfilm „Brigend"

23 Uhr: Doku „Jihad: A Story Of The Others"

14.11.

15 Uhr: Doku „Plastic Paradise"

16.30 Uhr: Int. Comedy Kurzfilme, u. a. „Lonely Planet", „Palisade"

19 Uhr: Drama „Nachthelle/Nightlight" (Dt.)

21 Uhr: Int. und spanische Drama Kurzfilme, u. a. „Ponerse Al Día", „Throught The Breaking Glass"

23 Uhr: Spielfilm „The Tribe"

15.11.

12.30 Uhr Doku: „Carpe Kilimanjaro Alzheimer"

14 Uhr: Int. Kurzfilme für Kinder, u. a. „Red Thunder", „The Present"

15.30 Uhr: Balearische und internationale Kurzfilme, u. a. „Maria" (Dt.), „Sling Shot", „A Candid Affair"

19 Uhr: Komödie „Mistress America"

21.30 Uhr: Preisverleihung und Party im Mercado Gastronómico San Juan

Programm im Rialto Living:

14./15.11., jeweils 10.30-12.30 Uhr: Begegnungen mit Filmschaffenden im Café Con Cine

Karten (ab 5 Euro) und weitere Infos zum Programm: evolutionfilmfestival.com