Wenn Joan Punyet Miró Besuchern Bilder seines berühmten Maler-Großvaters Joan in dem nach ihm benannten Museum in Palma zeigt, dann gerät er zuweilen fast aus der Fassung. „Um die Kunst, wie er sagte, zu ermorden, besprenkelte mein Großvater seine Bilder zuweilen hemmungslos mit Farbe, besonders mit roter Farbe", stößt er begeistert hervor, als er dem MZ-Reporter eines der Werke aus der Spätphase des in seinen letzten Lebensjahren auf Mallorca wirkenden abstrakten Künstlers (1893-1983) zeigt.

Dabei handelt es sich um das 1979 entstandene Gemälde „Personnage, Oiseau" (Persönlichkeit, Vogel) aus dem Jahr 1979. Es ist eines von 40 zum Teil noch nie gezeigten und von der Stiftung und Privatsammlern bereitgestellten Werken des Katalanen aus den 60er- und 70er-Jahren, die bis zum 15. Oktober 2015 in der Ausstellung „La luz de la noche" (Das Licht der Nacht) bestaunt werden können. Darunter sind auch unter einer Glasvitrine fixierte Skizzen auf Schulheft-Papier, die Miró anzufertigen pflegte, bevor er großflächig loslegte.

Faszination Nacht

Der sinnige Titel der bereits auf Ibiza (April bis August) und Menorca (August bis November) gezeigten Ausstellung spielt nicht auf die letzten Lebensjahre des Greises an (von einem Hindämmern kann keine Rede sein), sondern auf zweierlei: Zum einen faszinierte Miró die Nacht, er malte immer wieder gern Mond und Sterne. Zum anderen geht es bei dem „Licht der Nacht" um „das Licht, das die Seele erhellt" an, wie es Enrique Juncosa, der Kurator der Schau, ausdrückt. Gemeint ist das Entrückte, Magische, das Künstler vieler unterschiedlicher Disziplinen zu kreativen Höhenflügen anregt.

„Das Schaffen von Miró in seiner Spätphase ist im Gegensatz zu seinem Wirken in den 20ern und 30ern von der ­Kritik eher links liegen gelassen worden", so Juncosa. Es wurde also Zeit, mit dieser Ignoranz Schluss zu machen. „Was in der späten Phase auffällt, ist, dass er jung geblieben und weiterhin sehr experimentierfreudig war". Unter anderem bemalte er gefundenes Holz oder Plastik oder auf Wochenmärkten gekaufte Objekte . „So etwas wurde allerdings vom Kunstmarkt als nicht kommerziell abgelehnt, obwohl er bei den gleichen Themen - Frauen, Gestirne, Vögel - blieb", sagt sein Enkel Joan Punyet. Seinem Großvater sei das relativ gleichgültig gewesen, „weil es um die künstlerische Freiheit ging". Er habe nicht ins Mittelmaß versinken wollen, und sei auch politischer geworden in jener Zeit, als etwa in seinem geliebten Paris die Studenten rebellierten. „Einige Gemälde nannte er unmissverständlich Mai 1968", weiß Kurator Enrique Juncosa.

Lust auf gelben Hintergrund

So verwundert auch nicht, dass Joan Miró 1976 ein Bild mit knallgelbem Hintergrund malte. Es heißt „Tête" (Kopf), und er malte es - wie alles, was in dem schmucklosen Ausstellungsgemäuer gezeigt wird - in seinem Atelier in Cala Major. „Dieses Bild wurde noch nie ausgestellt", sagt Joan Punyet. Miró malte „Tête" - unorthodoxer geht es kaum - mit Wachsmalstiften auf Bitumenpapier, das er seinerseits auf Holz befestigt hatte. Auch bei der Maltechnik blieb Miró experimentierfreudig und im hohen Alter fast ein junger Hüpfer. Er ritzte auch schon mal mit Messern in die Farbe und bekam etwa das Bild „Paysage Animé" (Animierte Landschaft) so hin, „weil er das Leinentuch einfach auf die Erde legte und unter anderem Farbe darauf tropfen ließ", erzählt der Enkel. Die junge Wildheit im Alter spiegelt sich auch in den vielen formschönen Plastiken wider, die in der Ausstellung gezeigt werden. Auch hier spritzte Miró gern mal mit Farben herum.

Ganz besonders angetan hat es Joan Punyet indes ein weiteres Bild, das noch nie öffentlich gezeigt wurde: „Femme dans la nuit" (Frau in der Nacht) aus dem Jahr 1979. „Mein Großvater war 86, als er es mit Wachsmal- und Bleistiften sowie Tinte auf zum Teil geriffeltem Karton fertigstellte", so der Enkel. Es zeigt eine Frau mit nur drei Haaren auf dem Kopf, einer auffallend großen Hand und einem beschädigten Fingernagel. Mit dem ungewöhnlichen Material hatte es etwas Besonderes auf sich: „Meine Großeltern hatten damals einen neuen Kühlschrank bekommen, und Opa wollte auf keinen Fall, dass Oma das Verpackungsmaterial einfach wegwarf."

Die Schau „La luz de la noche" kann dienstags bis samstags von 10 bis 18 Uhr besichtigt werden, an Sonn- und Feiertagen von 10 bis 15 Uhr. Montags bleibt die Fundació Joan i Pilar Miró geschlossen. Eintritt: 6 Euro, an Samstagen gratis.

Im E-Paper sowie in der Printausgabe vom 11. Dezember (Nummer 762) lesen Sie außerdem:

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