Eine Kunst, die Grenzen und Genres überwindet, hat endlich ihren Weg ins Museum gefunden. Es Baluard zeigt Comic - auf Mallorca eine Premiere. Einzelne Bilder, Vignetten, haben es zwar schon gelegentlich an die Wand einer Kunsthalle oder Galerie geschafft. Dabei konnte man die Qualität eines Werkes bewundern, seine originelle Bildaufteilung, Perspektive und Strichführung. Der erzählende Charakter der Kunst ging dabei allerdings verloren.

Die Kuratoren und Kultur­agenten Juan Roig und Sònia Delgado konnten dies in Zusammenarbeit mit Museumsleiterin Nekane Aramburu nun überwinden. Elf Zeichner der Balearen haben unter Einbeziehung von unterschiedlichen Werken der Sammlung Geschichten erzählt, in Schwarz-Weiß und direkt auf der Wand. Manche sind kurz, andere länger, aber immer zeigen sie, wie genreübergreifend guter Comic ist.

Bartolomeu Seguí beispielsweise, 52-jähriger Frontmann der regionalen Szene, hat sich mit elf Bildern auseinandergesetzt. Die kleinformatigen Arbeiten zeitgenössischer spanischer Maler sind derzeit im Rahmen der Ausstellung „Implosió" ausgestellt. Das Arrangement und die Verteilung der Bilder an der Wand sollte er nicht verändern. Kein Problem für ihn, denn er ist es seit mehr als 30 Jahren gewohnt, seine Geschichten in engen Kästchen zu erzählen.

Als titelgebendes Werk hat er „Un beso" (Ein Kuss) von Darío Villalba ausgewählt. Das Foto aus dem Jahr 1996 zeigt nur einen Teil der Gesichter zweier sich Küssender. Den Rest hat Seguí darum herum gemalt, plus die etwas verrenkte Haltung der beiden Protagonisten. Die weibliche Figur hat der Zeichner auf einen halb echten, halb gemalten Bücherstapel gestellt - in Anspielung auf eine Skulptur von Gloria Mas -, den Mann auf eine gemalte Leiter, als Hommage an Joan Brossa. Bei dieser Balance helfen andere Bilder, auf die sich die Küssenden knien oder die sie stützen. Über allem prangt der Begriff „Muac!" in einer Typographie, die an Roy Lichtenstein erinnert. „Die Pop Art hat es dem Comic leichter gemacht", sagt Seguí, deshalb sollte Liechtenstein hier nicht fehlen.

Zu sehen ist das Gesamtwerk bis zum 16. November, genauso wie auch die Zeichnungen von Ata, Jaume Balaguer, Canizales, Paco Díaz, Álex Fito, Pere Joan, Guillem March, Max, Rafel Vaquer oder Pau, der jede Woche auch für die MZ Cartoons zeichnet.

Die Arbeit von Seguí wirkt so frisch und gut, dass man sich fragt, wieso es der Comic so schwer hat, als ernsthafte Kunst anerkannt zu werden. Der Künstler weiß auf diese Frage nur eine Antwort: das Image. „Der Comic wird hier immer noch mit Freaks und Kindern assoziiert." Seguí hat kürzlich in Frankreich für den auch ins Deutsche übersetzten Band „Historias del barrio" (Geschichten aus dem Viertel) einen Preis bekommen.

Das Buch, in dem er mit Gabi Beltrán Geschichten aus Palmas ehemaligem Rotlichtviertel erzählt, ist bei Gallimard erschienen, einem der besten Literaturverlage Europas. Das mache, so Seguí, den Unterschied in der Wahrnehmung deutlich. Während sich Frankreich mit der angesehenen Comicmesse in Angoulême, vielen Preisen und starken Verlagen ernsthaft um die Kunst zwischen Bild und Wort bemüht, haben sich deren Vertreter in Spanien „am Existenzminimum" etabliert. Vom Comic allein leben die rund 25 balearischen Profizeichner nicht. Sie arbeiten als Designer, Illustratoren oder Lehrer, um sich in ihrer Freizeit auf dem weißen Papier auszutoben, oft für internationale Verlage.

Die Ausstellung in Es Baluard ist Teil des diesjährigen Festivals Còmic Nostrum, das Ende Oktober zum siebten Mal stattfindet und eben von jenen rund 25 Künstlern organisiert wird, die den widrigen Umständen trotzen. Seit zwei Jahren sind sie im Berufsverband Clùster del Còmic vereint. Mit der Messe, die sich vor allem an die Szene richtet, wollen sie die Balearen als Comic-Hochburg etablieren.

Vier internationale und auswärtige Meisterzeichner werden Studenten unterrichten, Vorträge halten und im Es Baluard sowie im städtischen Kulturzentrum CAC Ses Voltes Ausstellungen bestreiten: Herr Seele aus Belgien, José Muñoz aus Argentinien, Manel Fontdevila aus Katalonien und Miguelanxo ­Prado aus Galicien. Die hiesige Szene zeigt Neues im Kulturzentrum La Misericòrdia, und wer sich für die guten alten Comichefte interessiert, kann im aljub, dem alten Wasserspeicher des Baluard-Museums am Samstag und Sonntag (25. und 26.10.) die Secondhand-Messe und Tausch­börse besuchen. Dort werden die Stars der Messe Werke signieren, über ihre Arbeit sprechen und dabei neue Talente fördern.

„Wir hatten früher die Zeitschrift ´Esquitx´, in der wir erste Zeichnungen publizieren konnten", erzählt Seguí, „junge Leute haben stattdessen das Internet." Das digitale Medium hilft dem Genre, keine Frage. Dazu kommt eine einfache Begriffsänderung, die sich allmählich durchsetzt. Das undergroundige Wort Comic wird immer öfter durch den stylischen Begriff Graphic Novel ersetzt. Seguí freut es, auch wenn sein Selbstverständnis dadurch nicht beeinflusst wird. „Wenn mir jemand vor 30 Jahren gesagt hätte, dass ich mit 52 immer noch Comics male, ich hätte es ihm nicht geglaubt."

„Implosió. Carte Blanche a Còmic Nostrum" läuft vom 22. Oktober bis 16. November im Museum Es Baluard. Dort sind auch die Ausstellungen von Jose Muñoz und Herr Seele zu sehen, am Wochenende findet dort das große Comictreffen statt. Das Festival „Còmic Nostrum" läuft vom 21. bis 26. Oktober an verschiedenen Orten.

www.esbaluard.org, comicnostrum2014.blogspot.com.es

Im E-Paper sowie in der Printausgabe vom 23. Oktober (Nummer 755) lesen Sie außerdem:

- Abschied von einer Insel-Institution: Verlag Moll muss schließen